Montag, 26. Oktober 2009

Windows 2.0

Viel ist seit Ausbruch der Krise vom Window of Opportunities geredet worden, das man aus systemkrisicher bzw. sozialdemokratischer Sicht ausnützen müsse. Lustigerweise wird dabei gerne auf ein Zitat des neoliberalen Vordenkers Milton Friedman (aus "Kapitalismus und Freiheit") verwiesen:

Only a crisis - actual or perceived - produces real change. When that crisis occurs, the actions that are taken depend on the ideas that are lying around.
Wie viele andere hat Ökonomin Helene Schubert neulich die Ansicht vertreten, dass sich dieses Window of Opportunities bereits geschlossen hätte. Dass die Sozialdemokratie sowie die systemüberwindende Linke zu jenem Zeitpunkt am Boden waren, heißt aber natürlich nicht, dass die "actions taken" damals in ernsthafter Weise von deren "lying around" abgehängt wäre. Ironischerweise hat gerade die starke Staatsintervention zu jener Phase in diesen Kreisen zum Teil die Ansicht hervorgebracht, man habe den "Kampf um die Ideen" bereits gewonnen - denn nun komme die Rückkehr des Staates und man müsse nur die nächsten Wahlen gewinnen, den Bundeskanzler stellen und dann könne gehörig umverteilt und reguliert werden - was auch gleich die nächste Krise verhindern würde. Dies zeigt auch die starke Hegemonie neoliberaler Ideen - als ob der Staat in den Jahren davor abwesend gewesen wäre!

Zwei Bemerkungen zu obigem Friedman-Zitat erscheinen notwengig:

  1. war die Durchsetzung des Neoliberalismus eine Machtfrage - bereits die Jahre und Jahrzehnte davor wurden als vermeintliche "Experten" getarnte Neokonservative an die Schalthebeln der Macht gesetzt: Politik, Wissenschaft, Wirtschaft. Das hat Paul Krugman in "The Conscience of a Liberal" ziemlich gut aufgearbeitet. Als dann ein gewisses Regime kapitalistischer Regulierung ("Fordismus"/"Keynesianismus") in die Krise geriet, war es nicht mehr schwer, die neoliberale Dogmenlehre politisch durchzusetzen. Es war nicht so, dass aus herumliegenden Ideen zufällig welche ausgewählt wurden - Mann hat wissentlich diejenigen Ideen politisch durchgesetzt, die man zuvor in "wissenschaftlichen" Journals hundertfach reproduziert hat.

    Man könnte aus diesem Eindruck ableiten, es gehe darum, einen "roten langen Marsch durch die Institutionen" vorzubereiten. Die Sinnhaftigkeit desselben erübrigt sich mit einem Hinweis auf die "führenden Köpfe" in der Institution SPÖ.

    Wofür bestehende Möglichkeiten hingegen genützt werden können, ist der Kampf um die Köpfe. "Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift", hat Marx es ausgedrückt. Sie tut dies, wenn sie am Menschen demonstriert.

  2. Friedman spricht von einer "actual or perceived" crisis. Gegen die "actual" crisis heute war die Krise, in deren Folge sich der Neoliberalismus durchsetzte, kaum ein Kriselchen. Aber sie war v.a. auch eine "perceived" crisis eines allzu paternalistischen, egalitaristischen Konzepts des (Sozial-)Staats und der Ökonomie in einer sich dem Schein nach immer differenzierter zeigenden Gesellschaft, die nach "Freiheit" strebte, die ihr der "Neoliberalismus" verhieß.

    Diese "perceived" crisis ist noch lange nicht vorüber. Hierbei ist v.a. die soziale Krise hervorzuheben, denn selbst wenn sich das Bruttoinlandsprodukt tatsächlich erholen sollte, so wird der Arbeitsmarkt dafür noch lange brauchen. Und die hohen Kosten der jetzigen Konjunkturpakete wird auch jemand zu tragen haben.
Das heißt aber, dass die Möglichkeit, die Krise aus linker Sicht als Chance zu nützen, noch nicht vergeben ist. Was sollte sich dabei als geeigneteres Thema erweisen, als eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Verteilung der Arbeit loszutreten?