Montag, 26. Oktober 2009

Windows 2.0

Viel ist seit Ausbruch der Krise vom Window of Opportunities geredet worden, das man aus systemkrisicher bzw. sozialdemokratischer Sicht ausnützen müsse. Lustigerweise wird dabei gerne auf ein Zitat des neoliberalen Vordenkers Milton Friedman (aus "Kapitalismus und Freiheit") verwiesen:

Only a crisis - actual or perceived - produces real change. When that crisis occurs, the actions that are taken depend on the ideas that are lying around.
Wie viele andere hat Ökonomin Helene Schubert neulich die Ansicht vertreten, dass sich dieses Window of Opportunities bereits geschlossen hätte. Dass die Sozialdemokratie sowie die systemüberwindende Linke zu jenem Zeitpunkt am Boden waren, heißt aber natürlich nicht, dass die "actions taken" damals in ernsthafter Weise von deren "lying around" abgehängt wäre. Ironischerweise hat gerade die starke Staatsintervention zu jener Phase in diesen Kreisen zum Teil die Ansicht hervorgebracht, man habe den "Kampf um die Ideen" bereits gewonnen - denn nun komme die Rückkehr des Staates und man müsse nur die nächsten Wahlen gewinnen, den Bundeskanzler stellen und dann könne gehörig umverteilt und reguliert werden - was auch gleich die nächste Krise verhindern würde. Dies zeigt auch die starke Hegemonie neoliberaler Ideen - als ob der Staat in den Jahren davor abwesend gewesen wäre!

Zwei Bemerkungen zu obigem Friedman-Zitat erscheinen notwengig:

  1. war die Durchsetzung des Neoliberalismus eine Machtfrage - bereits die Jahre und Jahrzehnte davor wurden als vermeintliche "Experten" getarnte Neokonservative an die Schalthebeln der Macht gesetzt: Politik, Wissenschaft, Wirtschaft. Das hat Paul Krugman in "The Conscience of a Liberal" ziemlich gut aufgearbeitet. Als dann ein gewisses Regime kapitalistischer Regulierung ("Fordismus"/"Keynesianismus") in die Krise geriet, war es nicht mehr schwer, die neoliberale Dogmenlehre politisch durchzusetzen. Es war nicht so, dass aus herumliegenden Ideen zufällig welche ausgewählt wurden - Mann hat wissentlich diejenigen Ideen politisch durchgesetzt, die man zuvor in "wissenschaftlichen" Journals hundertfach reproduziert hat.

    Man könnte aus diesem Eindruck ableiten, es gehe darum, einen "roten langen Marsch durch die Institutionen" vorzubereiten. Die Sinnhaftigkeit desselben erübrigt sich mit einem Hinweis auf die "führenden Köpfe" in der Institution SPÖ.

    Wofür bestehende Möglichkeiten hingegen genützt werden können, ist der Kampf um die Köpfe. "Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift", hat Marx es ausgedrückt. Sie tut dies, wenn sie am Menschen demonstriert.

  2. Friedman spricht von einer "actual or perceived" crisis. Gegen die "actual" crisis heute war die Krise, in deren Folge sich der Neoliberalismus durchsetzte, kaum ein Kriselchen. Aber sie war v.a. auch eine "perceived" crisis eines allzu paternalistischen, egalitaristischen Konzepts des (Sozial-)Staats und der Ökonomie in einer sich dem Schein nach immer differenzierter zeigenden Gesellschaft, die nach "Freiheit" strebte, die ihr der "Neoliberalismus" verhieß.

    Diese "perceived" crisis ist noch lange nicht vorüber. Hierbei ist v.a. die soziale Krise hervorzuheben, denn selbst wenn sich das Bruttoinlandsprodukt tatsächlich erholen sollte, so wird der Arbeitsmarkt dafür noch lange brauchen. Und die hohen Kosten der jetzigen Konjunkturpakete wird auch jemand zu tragen haben.
Das heißt aber, dass die Möglichkeit, die Krise aus linker Sicht als Chance zu nützen, noch nicht vergeben ist. Was sollte sich dabei als geeigneteres Thema erweisen, als eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Verteilung der Arbeit loszutreten?

Montag, 7. September 2009

Minus und Plus ergibt Minus (II)

Im letzten Beitrag wurde gezeigt, dass ein Aufschwung oft nur gegenüber dem jeweiligen Vorjahr ein Aufschwung ist und gegenüber länger zurückliegenden Zeitpunkte dennoch eine Verschlechterung sein kann. Tatsächlich stellt sich aber die Frage, ob dieser Aufschwung auch wirklich kommt. Einiges spricht - zumindest aus österreichischer Sicht - dagegen:

1. Staatsschulden

Dass der Abschwung in Österreich nicht so schlimm wie in anderen Ländern (z.B. Deutschland) war, lag u.a. an den hiesigen Konjunkturpaketen. Diese haben den Konjunktureinbruch abgedämpft, waren allerdings nicht genügend auf den notwendigen Strukturwandel ausgerichtet (Einmal- und Vorzieheffekte, z.B. Verschrottungsprämie, Rettung maroder Betriebe). Vor allem haben sie aber eines: Geld gekostet. Dies wird sich nicht über mehrere Jahre fortsetzen lassen, der Aufschwung wird aber wenn nur zögerlich kommen und weitere öffentliche Konjunkturstimuli brauchen. Für diese sind aber kaum finanzielle Mittel vorhanden.

2. Verzögerte Arbeitsmarktwirkung

Selbst wenn es 2010 mit der Gesamtwirtschaft wieder bergauf gehen sollte, so wird das sicher nicht auf den Arbeitsmarkt zutreffen. In vielen Dienstleistungsbereichen stehen die eigentlichen Kündigungswellen erst bevor, einzelne Auftragszunahmen von Unternehmen werden eher mit Überstunden, selten mit neuen Beschäftigten (und wenn dann Leiharbeitskräften) abgedeckt.

3. Internationale Nachfrageschwäche

Mit der gestiegenen Arbeitslosigkeit und der erwähnt tiefen Rezession in Deutschland - Österreichs wichtigstem Handelspartner - lässt sich die Nachfrage nicht ankurbeln. Die Konjunkturlokomotive USA ist ausgefallen, wird die weltweite Überproduktion nicht weiterhin auf Kredit schlucken können; China ist weit entfernt, eine derartige Rolle übernehmen zu können. Eine internationale Dynamik kann wohl am ehesten durch eine neue internationale Finanz- und Handelsarchitektur ("Bretton-Woods-2") geschaffen werden, die ist aber nicht in Sicht, da die politisch Verantwortlichen lediglich kleine Schönheitsfehler korrigieren.

4. Überkapazitäten

Die derzeitige Krise ist durch die größten weltweiten Überkapazitäten an Produktionsmitteln seit dem Zweiten Weltkrieg charakterisiert. Das bedeutet, dass nicht nur der Privatkonsum der Haushalte (siehe 3) und die öffentliche Nachfrage (siehe 1) ausbleiben wird, sondern seitens der Unternehmen auch keine Investitionen im großen Stil getätigt werden.

Freitag, 4. September 2009

Minus und Plus ergibt Minus (I)

Eine aktuelle Studie der Nationalbank (OeNB) gibt Anreiz, sich mit einer verbreiteten Suggestion tagesaktueller Meldungen auseinander zu setzen. Die OeNB hatte erstmals seit zwei Jahren eine Konjunkturprognose "nach oben" revidiert: nicht minus 4.2 % (wie noch im Juni vermutet) sondern "nur" minus 3.5 % bis minus 3.8 % soll das Wirtschafts"wachstum" ausmachen.

Das nährt Spekulationen (letztere waren ja in anderer Weise massiv am Krisenausbruch beteiligt), dass bald ein "Aufschwung" beginnen könnte und das ist der eigentlich interessante Aspekt, weil dieser "Aufschwung" wird von vielen maßgeblich herbeigesehnt. Verbunden damit ist nämlich die falsche Illusion, dass sich die Handlungsmöglichkeiten der Politik dann wieder ausweiten würden.

Zunächst ist einmal eine banale - aber leicht zu vergessende - Tatsache klarzustellen: Wenn die Wirtschaft z.B. 2009 um 3.5 % schrumpft und dann in den Folgejahren um je 0.5 % wächst (was zumindest für 2010 schon seeehr optimistisch ist), so dauert es dennoch bis 2017 (!) dass der Wert von 2008 erreicht wird, bei einem jährlichen Wachstum von 1 % braucht es immer noch bis 2013. So lange würde es also dauern, bis wieder die Verteilungsspielräume von 2008 zur Verfügung stehen.

Diese "Durchtauchen und Warten"-Politik verkennt aber, dass die Zeiten, in welchen Verteilungspolitik über Wirtschaftswachstum (und Schulden) betrieben wird, ein für alle mal vorbei sind. Trotz - oder wegen - eines nie dagewesenen Reichtums in der Welt hat sich die Verteilungsfrage massiv zugespitzt: Reformen im Interesse der breiten Masse können nur mehr durchgesetzt werden, wenn der Einfluss monopolkapitalistischer Gruppen ernsthaft zurückgedrängt wird. Das setzt eine gewisse Entschlossenheit voraus und keinen pragmatischen Kuschelkurs. Der aktuelle Kampf ums Gesundheitssystem in den USA verdeutlicht dies. Hinzu kommt die paradoxe Problematik, dass es ohne ernstzunehmende Eingriffe auch kaum eine dynamische Wirtschaftsentwicklung geben wird, da die derzeitige Krise eben nicht deshalb entstanden ist, weil sich ein paar Börsianer "verzockt" haben. Wer also das Massenwohl durch Wachstum steigern will und dabei die Verteilungsfrage zu umschiffen sucht, wird feststellen, dass dies voraussetzt, gerade diese Verteilungsfrage zu stellen. Gewissermaßen verdeutlicht das die Problematik der Reichen: Ihr einziger Weg reicher zu werden besteht darin, etwas von ihrem Reichtum abzugeben. Arme Millionäre!

Mittwoch, 2. September 2009

Fraglicher Lichtblick am Arbeitsmarkt: + 29,8 % Arbeitslose

Ende August 2009 waren 238,803 Menschen in Österreich als arbeitslos gemeldet. Das ist gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um 29.8 %. Auch die Zahl der SchulungsteilnehmerInnen stieg wieder rasant an: um 42.8 % auf 57,694.

Rückläufig ist hingegen die Zahl der ArbeitnehmerInnen die Kurzarbeit leisten - für Sozialminister Hundstorfer und Finanzminister Pröll ein Lichtblick. Wenn diese Arbeitsmarktentwicklung aber ein Lichtblick ist, so mag man lieber nicht wissen, wie Misserfolg aussieht.

Dienstag, 1. September 2009

FSA-Chef fordert Tobin Tax

Der Chef der obersten britischen Aufsichts- und Regulierungsbehörde FSA, Adair Turner, hat im Rahmen eines Interviews für Prospect eine Tobin-Tax gefordert. Argumentiert hat er das so wie wir an dieser Stelle: Ein großer Teil der Aktivitäten auf Finanzplätzen sei gesellschaftlich nutzlos ("socially useless").

Turner's Forderung hat zum Teil heftige Kritik der Standort-Fetischisten nach sich gezogen.

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Sonntag, 30. August 2009

Warum der Kapitalismus nicht am Ende ist

aber die Krise erst recht nicht

beantwortet Conrad Schuhler in seinen Thesen zur nächsten Zukunft des Kapitalismus, die nach einer prägnanten Einführung in die Ursachen der Krise v.a. die trüben Konjunkturaussichten in Deutschland heranziehen, um einen L-formigen Krisenverlauf zu zeichnen: steiler Absturz, danach lange Stagnation.

Donnerstag, 27. August 2009

Wo der Fisch zum Stinken beginnt

oder: Leitl'n, werft die Flinte nicht ins Feld!erer

Christoph Leitl (das ist der, der vor ein paar Tagen ein Konjunkturpaket von 650 Millionen Euro forderte) will keine höheren Steuern. Alleine darüber zu diskutieren wäre schädlich.

Schützenhilfe bekommt er - sieh an - vom Experten für Staatsschulden und auch sonst alles andere, IHS-Boss Felderer, der gleich eine neue "Studie" zur Hand hatte, wonach Vermögenssteuern kaum denkbar bzw. ergiebig wären. Als Vertröstung auf das Jenseits muss aber Felderers Vorschlag einer Finanztransaktionssteuer auf europäischer bzw. internationaler Ebene gesehen werden - denn diese könne national nicht umgesetzt werden.

Interessanterweise wird eine Steuer auf kurzfistige Spekualtionsgewinne (eine solche ist zugegebenermaßen nicht unbedingt eine allgemeine Finanztransaktionssteuer) oft auf europäischer oder internationaler Ebene eingefordert - auch von systemkritischen Kräften. Zwar ist das sicher wünschenswert, aber keineswegs für eine Umsetzung notwendig. Schließlich behauptet man in wiederkehrenden Zyklen (meist mit Wahlkämpfen positiv korrelierend) ohnedies immer wieder, dass man diese Art der Transaktionen ("Heuschrecken", "Finanzhaie", "Casinokapitalisten") nicht haben möchte - und steuern heißt genau diese gesellschaftliche Steuerung zu übernehmen. Man hat also Angst davor, jemanden zu vertreiben, den man sowieso nicht haben möchte. Wenn überhaupt - schließlich wird sich kaum ein Investor von einer 1-%igen Steuer auf den Gewinn abschrecken lassen. (Zugegebenermaßen ist das Einnahmenpotenzial daraus aber auch enden wollend).

Dennoch muss für Felderer alles vorher fein säuberlich international akkordiert und koordiniert, anvisiert und totkrepiert werden: "Wenn Österreich allein eine solche Steuer einführen würde", so der IHS-Boss, "wäre das nicht nur ein Schuss ins Knie, sondern einer in den eigenen Kopf." Wenn der Fisch dort zu stinken beginnt, ist das aber vielleicht die passende Rezeptur.

Mittwoch, 26. August 2009

John Maynard Leitl und Christoph Keynes

Was waren das für Zeiten, als ein guter Tag noch mit einem ausgeglichenen Budget begonnen hat... Lang ist's her und mittlerweile ist auch dem notorischsten Optimisten klargeworden, dass die damaligen Finanzsaubermänner einen ziemlichen Misthaufen hinterlassen haben - sofern sie nicht gerade als Angeklagte vor Gericht stehen.

Dass es "uns allen" gut geht, wenn es "der Wirtschaft" gut ginge, diese Mär hat sich aber auf seltsame Weise am Leben gehalten. Gemeint sind aber nicht die "ArbeiterInnen""vertreterInnen" in Parlament & Co., die Milliardenpakete für einen Haufen Finanzbankrotteure aufgelegt haben, sondern Mr. Leitl himself, der in einer aktuellen Aussendung ein 650 Millionen Euro Konjunkturpaket für Bau, Handwerk und Gewerbe fordert. Theoretisch "begründet" wird das - sieh' an - durch einen Multiplikatoreffekt, wie ihn Keynes selbst nicht besser argumentieren könnte: "In dem Moment, wo die 650 Mio. Euro ausgegeben werden, fließen 1.400 Mio. Euro zurück", so die etwas fragwürdige Rechnung. Die Förderung solle zu Investitionen führen und dann vermehrt wieder über Steuern und Abgaben zurück zu Finanzminister und Sozialversicherung fließen - wenn denn die Investitionen nicht gerade im Pfusch erledigt werden (wie neulich auf einer Wirtschaftskammer-Baustelle).

Natürlich könnte Herr Leitl auch bei seiner Sparte Bank und Versicherung nachfragen, wieso diese der Wirtschaft derzeit nicht genügend Kapital für potenzielle und laufende Projekte zur Verfügung stellen. Aber wieso so kompliziert, wenn man's vom Staat so billig haben kann?

Mittwoch, 27. Mai 2009

Finanzordunung im Umbruch

Die aktuelle Krise und ihre Ursachen waren Thema der Präsentation des Journals für Entwicklungspolitik zum Schwerpunkt "Assessing the Transformation fo Global Finance". Dargestellt wurde eine historische Aufarbeitung des Übergangs vom Bretton-Woods System zur derzeitigen Weltfinanzordnung. Diskussionsstoff bot ebenso die Frage nach Folgen und Veränderungen, die eine Krise in den globalen Machtverhältnissen bringt, als auch nach möglichen Zukunftsperspektiven. Karin Aiterwegmair berichtet hier. (Paulo Freire Zentrum)

Donnerstag, 23. April 2009

IWF: Österreichs Wirtschaft schrumpft 2009 um 3 %

Düstere Konjunkturprognosen kommen derzeit vom Internationalen Währungsfonds: Dieser korrigierte praktisch all seine Prognosen vom Jänner nach unten - am stärksten jene für Österreichs Haupthandelspartner Deutschland. Gleich um - 5,6 % sollte Deutschlands Wirtschaftleistung 2009 gegenüber dem Vorjahr sinken.

Auch für Österreich wurde die Prognose auf - 3 % nach unten revidiert. Für 2010 ist ein leichtes Wachstum von 0,2 % prognostiziert - noch - während die Talfahrt 2010 auch in Deutschland weitergeht (- 1 %). Die heimischen Konjunkturforschungsinstitute erwarteten für Österreich zuletzt noch etwas bessere Wirtschaftsdaten für 2009 bzw. 2010: - 2,2 % bzw. + 0,2 % (WIFO) bzw. - 2,7 % und + 0,4 % (IHS).

Auch die gesamte Euro-Zone bleibt die nächsten zwei Jahre in den roten Zahlen: - 4,2 und - 0,4 % sind die Prognosen für 2009 und 2010. Die US-Wirtschaft bricht laut IWF 2009 um - 2,8 % ein und verzeichnet im Jahr darauf ein Nullwachstum.

>>zur IMF-Pressemeldung

Mittwoch, 22. April 2009

Konferenz in Bejing über Regulierung der Finanzmärkte

Dass die gegenwärtige ökonomische Krise v.a. aufgrund der Deregulierung der Finanzmärkte zustande kam, ist soweit bekannt und kaum Gegenstand von Kontroverse. Was für eine (Re-)Regulierung getan werden soll, hingegen um so mehr. Eine interessante Konferenz in Bejing nahm sich dem Thema diesen Monat an.

Unter dem Titel Re-regulating global finance in the light of the global crisis hatten IDEAS und die Tsinghua Universität zu dieser Konferenz geladen.

Die Organisatoren hoben hervor, dass trotz aller Einigkeit über die Auslöser der Krise große Divergenz über die ursächlichen Wurzeln der Krise herrsche, speziell über die Veränderungen von Regulationsstrukturen, welche den Liberalisierungen folgten und eine wirtschaftliche Umgebung schafften, welche die Krise heraufbeschwor. Auch über die anzuwendenden politischen Maßnahmen herrscht Uneinigkeit.

Im Schlusspanel wurden diese möglichen Maßnahmen u.a. von Wirtschaftspolitikern wie dem stv. Generalsekretär des UN-Ausschusses für ökonomische und soziale Angelegenheiten, Jomo K. Sundaram, dem früheren Gouverneur der inischen Nationalbank, Y.V. Reddy, oder dem Vorstandsmitglied der argentinischen Zentralbank, Arturo O'Connell, diskutiert.

Jomo Sundaram hob hervor, dass die UNO eine zentrale Rolle in der Krisenbekämpfung spielen solle, dass dies die aktuellen Weltmächte aber nicht zulassen würden. Wichtig in der Diskussion über eine Re-Regulierung sei nicht nur finanzielle Stabilität sondern auch die Gerechtigkeits- und Entwicklungsaspekte von Finance.

Reddy verlangte u.a. eine Regulierungspolitik für Finanzkonglomerate. Diese wären zu groß geworden und genössen nun einen "too big to fail" Status, d.h. nationale Regierungen würden alles unternehmen, diese zu retten. Und das führe zu einem rücksichtslosen Verhalten dieser Institutionen. Folglich müsse verhindert werden, dass diese überhaupt nicht eine solche Größe und Bedeutung erlangen würden.

Einzelne Beiträge der Konferenz können von dieser Website aufgerufen werden.

Sonntag, 19. April 2009

„Exzesse? Systemimmanent!“ - Teil III und Schluss

Kapitalismus und Krise

Angesichts der offensichtlichen Aufblähung der Finanzmärkte ist es für viele nahe liegend, die Ursachen der gegenwärtigen Krise in der Finanzsphäre zu suchen. Die UNCTAD sprach unlängst von einem „Systemfehler“ im Zusammenhang mit der Krise und verweist dabei unter anderem auf die vollständige Deregulierung der Finanzmärkte sowie die Verfeinerung spekulativer Techniken. Beides ist zutreffend. Allerdings ist damit die Krise noch nicht erklärt. Anders als die Krisen im 17. und 18. Jahrhundert die reine Geld-, Spekulations- und Kreditkrisen waren, die meist durch außerökonomische Ursachen hervorgerufen wurden und eine Unterproduktion bewirkten indem sie die Produktion hemmten, handelt es sich bei den periodischen Krisen des Kapitalismus, die seit 1825 regelmäßig wiederkehren, um Überproduktionskrisen, die auf die inneren Widersprüche des Kapitalismus zurückzuführen sind. Geld-, Kredit- und Börsenkrisen begleiten auch diese Krisen, jedoch als Erscheinungsformen und nicht als deren Ursache.

Auch gegenwärtig haben wir es mit einer Überproduktionskrise zu tun, jedoch hat sich seit dem 19. Jahrhundert wiederum einiges geändert. Im vormonopolistischen Kapitalismus waren „Finanzkrisen“ eng an den Krisenzyklus gekoppelt, da sich Geld- und Warenzirkulation weitestgehend parallel zueinander entwickelten. Deshalb konnte sich die monetäre Sphäre über den Zyklus hinaus nicht wesentlich von ihrer materiellen Grundlage im Reproduktionsprozess entfernen. Im heutigen Kapitalismus ist dies jedoch der Fall. Durch die wachsende Ökonomisierung des Geldumlaufs, den Ausbau des Bankensystems und der Monopolisierung der Banken nimmt das Kreditgeld den entscheidenden Platz ein. Bereits vor 21 Jahren führen die Autoren des Instituts für Internationale Politik und Wirtschaft der DDR aus: „Geld, das nicht direkt der Verwertung dient, kann durch das Bankensystem schnell als Geldkapital mobilisiert und in zinstragendes Kapital umgewandelt werden. In entgegengesetzter Richtung können aber auch Formen des zinstragenden Kapitals relativ schnell in Geld, das seine Geldfunktionen ausübt, verwandelt werden. Das zinstragende Kapital stellt damit eine gewaltige Kreditgeldreserve dar, die jederzeit den Geldumlauf relativ unabhängig von der Entwicklung der Warenzirkulation und ihres Wertumfangs zu erhöhen vermag.“

Die Dominanz des Kreditgeldes entspricht den neuen Erfordernissen der Kapitalbewegung und der strukturellen Überakkumulation von Kapital. Durch die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Giralgeldschöpfung der Banken über die Bedürfnisse der Kapitalreproduktion und Warenzirkulation hinaus, wird die Gefahr von Disproportionen und Krisensituationen in der Geldsphäre ausgeweitet. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich bemerkt in ihrem 78. Jahresbericht im Frühjahr 2008 etwa: „Tatsächlich gab es in der Wirtschaft und im Finanzsektor in den letzten Jahren einige außergewöhnliche Trends, die nicht zu übersehen waren. Das Geldmengen- und Kreditwachstum war sehr hoch, während Risiken insgesamt zu niedrig bewertet schienen. Diese weltweit hohen Geldmengen- und Kreditwachstumsraten in den letzten Jahren spiegeln die Wechselwirkungen der Geldpolitik, des Wechselkursregimes einiger Länder sowie bedeutsamer Veränderungen im Finanzsystem selbst wider.“ Freilich muss den Ursachen der gegenwärtigen Krise noch gründlich nachgegangen werden. Fest stehen dürfte aber bereits, dass zu der „gewöhnlichen“ Überakkumulationskrise noch ein Moment hinzukommt, dass über die Zyklen hinweg wirksam war und nun mit voller Wucht in die „Realwirtschaft“ zurückschlägt.

Literatur:

Autorenkollektiv, Krisenprozesse in den internationalen Finanz-, Kredit- und Währungsbeziehungen des Kapitalismus, in: IPW Forschungshefte 2/1988, Berlin
Aristoteles, Politik, Stuttgart 1989
Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), 78. Jahresbericht, Basel 2008
Marx, Karl, Das Kapital, Dritter Band, in: MEW 25
Oelßner, Fred, Die Wirtschaftskrisen. Die Krisen im vormonopolistischen Kapitalismus, Berlin 1951
T., Anne, Die Gier war grenzenlos. Eine deutsche Börsenhändlerin packt aus, Berlin 2009
United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), The Global Economic Crisis. Systemic Failures and Multilateral Remedies, New York and Geneva 2009
Wagenknecht, Sahra, Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft, Berlin 2008
Wahl, Peter, Entwaffnet die Märkte, Hamburg 2009
Zola, Emile, Das Geld, Frankfurt 1995

Freitag, 17. April 2009

„Exzesse? Systemimmanent!“ - Teil II

Die große Geldmaschine

Nur so einfach ist das nicht, wie gewisse Weltverbesserer der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaft sich das vorstellen. Der Finanzmarktkapitalismus hat nämlich seinen Grund in der Sphäre der Realakkumulation und den Schranken, die sich das Kapital beständig selbst auferlegt. Der Entfaltung der inneren Widersprüche des Kapitalismus, die sich in der – chronisch gewordenen – Überakkumulation von Kapital äußert, entspricht die Aufblähung der monetären Sphäre. Überschüssiges Kapital wird seiner Entwertung entzogen, indem es den Finanzmärkten zuströmt.

Hinzu kommt aber noch etwas anderes: Der moderne Imperialismus lebt von der scheinbar unbegrenzten Möglichkeit der Ausweitung des finanziellen Gewinns. Der Begriff „Casino-Kapitalismus“ ist in diesem Zusammenhang irreführend. Casinos funktionieren bekanntlich so, dass einer Geld einsetzt und es dadurch vermehrt, dass ein anderer verliert. Am Ende gewinnt meistens das Casino. Etwas anders funktionieren moderne Finanzmärkte, auch hier setzen viele Menschen Geld ein in der Hoffnung mehr daraus zu machen. An dieser Stelle hört die Analogie aber weitestgehend auf, denn die Finanzmärkte haben heute die Möglichkeit geschaffen, nicht nur innerhalb der monetären Sphäre Vermögen umzuschichten, sondern innerhalb des Sektors selbst Renditen zu schöpfen. Dies funktioniert so, dass Finanzeinkommen auf dem Papier geschaffen wird, indem beispielsweise Zinsen auf einen Kredit immer wieder durch neue Kredite bezahlt werden. Die so geschaffenen Zinseinkommen existieren nur in den Computern der Banken, denen nicht etwa ein real erwirtschafteter Wert gegenübersteht. Sahra Wagenknecht führt daher aus: „Der moderne Kapitalismus hat sich mit dem geschilderten Mechanismus eine Geldmaschine geschaffen, die Einkommen, Gewinne und damit auch Renditen zu produzieren gestattet, ohne auf den beschwerlichen Weg der Suche nach zahlungskräftigen Käufern wirklicher Güter oder Leistungen angewiesen zu sein. Da es ihm genau an dieser zahlungskräftigen Nachfrage regelmäßig zu mangeln pflegt, hat er damit scheinbar eines seiner Grundprobleme gelöst.“

Dieses System hat allerdings weder aufgehört letztlich vom realisierten Mehrwert abhängig zu sein, noch ist es eine „freundlichere“ Variante des Kapitalismus. Im Gegenteil, die Schöpfung dieser fiktiven Vermögen lastet schwer auf den Schultern der Arbeiterklasse, die nun mal – nach wie vor – den gesellschaftlichen Reichtum erwirtschaften, da ja die so geschaffenen Vermögen nicht von alleine wachsen sondern letztlich aus dem Mehrwert gespeist werden müssen. Und zwar über Finanzeinkommen denen eine „realwirtschaftliche“ Leistung gegenübersteht (Zinsen aus dem Gewinn, Dividenden). Früher oder später wollen die Banken von den Schuldnern bare Münze sehen. Je aufgeblähter der finanzielle Sektor ist, desto mehr Druck wird auf das produktiv fungierende Kapital ausgeübt. Insgesamt findet eine gewaltige Umverteilung des Mehrwerts zugunsten der Zins- und Dividendeneinkommen statt. Dadurch wird die Verwertung weiter eingeschränkt und die Neuinvestitionen geraten ins Stocken.

Um sich eine Vorstellung von den Dimensionen der „finanzgetriebenen Akkumulation“ zu machen, sei auf einige Zahlen verwiesen. Allein das Volumen der außerbörslich gehandelten Kreditderivate betrug im Dezember 2007 596 Billionen (in Zahlen: 596.000.000.000.000) USD. Das weltweite Bruttosozialprodukt betrug 2008 hingegen nur rund 62 Billionen USD. Das sind 10,4 Prozent des Volumens der Kreditderivate. Peter Wahl rechnet vor, dass die Aktienverluste an den Börsen im Jahre 2008 (23 Billionen USD) sechsmal so groß waren wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt der BRD, also das, was in Deutschland in einem Jahr an Gütern und Dienstleistungen (die bürgerliche Statistik rechnet fälschlicherweise Dienstleitungen zur Wertschöpfung hinzu) produziert wird.

Krugman-Apologetik, die 2.

Diesmal ist einer unserer Autoren fremdgegangen und hat zur Causa Krugman im Roten Salon veröffentlicht.

Donnerstag, 16. April 2009

Lernen sie Englisch, Herr Pröll

Paul Krugman ist wahrscheinlich der schlauste Ökonom der Welt. Für das, was er neulich gesagt hat, braucht man aber nicht schlau zu sein, sondern nur die Tatsachen zu sehen: Nämlich dass Österreich's Engagement in Mittel-/Ost-/Südosteuropa gemessen am heimischen Bruttoinlandsprodukt fernab aller Vergleiche mit anderen Ländern ist.

Dass dies ein gewisses Riskio darstellt, sollte auch jeder Mittelschülerin klar sein.

Woher dann jedoch die Aufregung kommt, dass Österreich der nächste Kandidat für einen Staatsbankrott wäre, ist durchaus verwunderlich. Die Meldung, dass Krugman letzeres behauptet hätte, brachte Finanzminister Pröll durchaus auf die Palme bzw. von der Weide. Sogar seinen Haus und Hof Taschenspielerökonom Bernhard Felderer musste er zu Rate ziehen, um zu versichern, dass entgegen Krugmans Behauptungen alles easy cheesy sei in Österreich.

Bevor wir uns jedoch auf deren "Argumentation" einlassen, sehen wir uns doch mal an, was Krugman gesagt hat:

Is Austria doomed? Of course not. It is not as outrageously leveraged as Iceland, or even Ireland. But it may need a bank bailout that will seriously strain the country's ressources. So what I said at the event - that after those two, it's probably the advanced country at most ristk from the financial crisis - shouldn't be controversial.
Nachdem sich Pröll und Felderer scheinbar entschlossen haben, sich dem Boykott des PISA-Tests für Englisch anzuschließen, können wir es ihnen auch gerne auf Deutsch übersetzen:

Ist Österreich verdammt? Natürlich nicht. Es ist nicht so übermäßig fremdfinanziert wie Island oder Irland. Aber womöglich braucht es eine Bankenrettung, welche die Mittel des Landes ernsthaft einschränkt. Daher sollte es eigentlich gar keine Kontroverse darum geben, was ich neulich behauptet habe: Dass Österreich nach diesen beiden Ländern wahrscheinlich jenes hochentwickelte Land mit den meisten Risiken in der aktuellen Finanzkrise ist.


Von einem drohenden Staatsbankrott - keine Rede, im Gegenteil. Dieses Gerede haben Pröll, Nowotny, Felderer und die heimischen Medien selbst in die hiesige Diskussion eingeführt.

>> Krugman Blog

>> Pröll live vom Acker (und: nein, gemeinsam durchtauchen wir nicht EURE KRISE! [auch wenn es das Staatsbüdsche gefördet.])

Mittwoch, 15. April 2009

„Exzesse? Systemimmanent!“ - Teil I

Über „Finanzgetriebenen Kapitalismus“ und die Krise der Weltwirtschaft.

Wolfgang Schäuble, dem man ansonsten nicht über den Weg trauen sollte, sagte in der „Kleinen Zeitung“ unlängst etwas Aufrichtiges. Auf die Gier der Spekulanten angesprochen, die von vielen hauptverantwortlich für die Krise gemacht wird, antwortet er: „Jeder von uns wird, wenn er vor die Alternative gestellt wird, zehn Millionen mehr oder weniger zu haben, sich eher für mehr entscheiden.“

Spekulanten sind Menschen, das wissen wir spätestens seit Emile Zolas Roman „Das Geld“ aus dem Jahre 1891, die das Geld nicht lieben wie der Geizhals, der einen großen Haufen davon haben will um es im Keller zu verstecken. „Nein! Wenn es nach seinem Willen überall hervorsprudeln soll, wenn er es aus jedweder Quelle schöpft, so weil er sehen möchte, wie es ihm in Strömen zufließt, und wegen all der Genüsse, die es ihm verschafft […]“ Das Geld muss also fließen, es darf nicht zum Schatz erstarren sondern soll die Bewegung von Geld zu mehr Geld durchmachen. Und diese Bewegung des Geldes, das ist seit Aristoteles bekannt, ist maßlos. Diese Maßlosigkeit hat der Spekulant verinnerlicht. Hörte er auf maßlos zu sein, wäre er kein Spekulant und ein anderer nähme seinen Platz ein.

Was Schäuble eingangs richtig bemerkte, kann einem auch jeder bestätigen der in der Spekulationsbranche tätig war, so auch eine deutsche Ex-Investmentbankerin, die ihren Job bei einer großen Bank sausen ließ und nun aus dem Nähkästchen plaudert. Bei der Lektüre ihres Buches „Die Gier war grenzenlos“ wird man auch als Ökonom verblüfft sein über die Auswüchse und Dimensionen, welche das Geschäft mit Finanzprodukten insbesondere Derivaten angenommen hat. Ohne Scham erzählt die ehemalige Bankerin, wie die Abteilung ihrer Bank an den Steuerbehörden Milliarden vorbeimanövrierte, wie sie Kleinanleger und selbst Fondsmanager prellte und hinters Licht führte und wie sie auch an den größten Katastrophen dieses Jahrzehnts noch gut verdiente, für ihre Bank und natürlich auch in Form von Bonuszahlungen für sich selbst. Als Derivathändlerin gehörte sie zu den „Masters of the Universe“, so dachte sie zumindest eine zeitlang. Weder eine Finanzmarktaufsicht, die stets zehn Schritte hinterherhinkte, noch der Vorstandsstab der eigenen Bank, geschweige denn das Publikum verstand, was es mit den Geschäften der Broker auf sich hatte, die per Mausklick Milliarden bewegten, und zwar ohne jegliche Skrupel.

Der Markt kennt keine Moral, sagt die Autorin. Und so ist es auch. Das ganze kulminiert dann in der Bemerkung: „Lücken in politischen Gesetzen waren gemeinhin schneller zu entdecken. Zum Beispiel Hartz IV: Wie viele Expertenkommissionen hatten sich zusammengesetzt, um diese Reform in allen Einzelheiten auszuarbeiten! Trotzdem zeigte es sich erst in der Praxis, ob die erlassenen Gesetze funktionierten. […] So konnte man beim Sozialamt nachprüfen, welche Leute wie viel bekamen, Mitbürger und Medien waren auch noch Kontrollinstanzen. Die Finanzaufsicht hat es jedoch nicht mit vergleichbar konkreten Nachvollziehbarkeiten zu tun. Es gibt hier kein „Sozialamt“, das etwas registriert, dass heute sieben Derivate nach Irland gegangen sind und gestern acht nach Luxemburg. Überblick? Den konnte man vergessen. Exzesse? Systemimmanent. Broker dachten nicht an mögliche Dominoeffekte, dafür waren sie nicht zuständig, zuständig waren sie für das eigene Wohl: Wie gesagt: Märkte waren unmoralisch – und effizient.“

Wenn es aber die Aufgabe der Broker nicht ist, sich Gedanken über die Störanfälligkeit des Systems zu machen und wenn die Strukturen der Finanzmärkte für kaum jemanden mehr durchschaubar sind, wer soll für eine – jetzt wieder viel diskutierte – Regulierung verantwortlich sein? Auch die vom G-20-Gipfel intendierte Aufsicht wird dem Treiben auf den Finanzmärkten kein Ende setzen. Es braucht vor allem eines: Der Finanzgetriebene Kapitalismus muss in die Schranken gewiesen werden.

Montag, 13. April 2009

Antworten auf die Finanz- und Wirtschaftskrise von links

Unlängst ist im Pahl-Rugenstein Verlag ein neues Buch zur Wirtschaftskrise erschienen:

Manfred Sohn

Hat das System einen Fehler oder ist es der Fehler? Antworten auf die Finanz- und Wirtschaftskrise von links

Die zentrale These dieses Buches ist, dass wir uns im Jahre 2009 nicht nur einer Finanz-, sondern einer Wirtschaftskrise gegenübersehen, die das kapitalistische System bis in seine Grundlagen hinein in Frage stellt – und zwar zu Recht. Denn, so versucht Manfred Sohn darzulegen, in der gegenwärtigen Krise bündeln sich mehrere Krisensymptome, die gemeinsam ihre tiefste Ursache in der Profitorientierung unserer gegenwärtigen Wirtschaftsordnung haben. Prägnant und für jeden wirtschaftspolitischen Laien verständlich schildert er Entstehung, Erscheinung, Verlauf und Auswirkungen dieser Krise sowohl für die globale Wirtschaft und Politik als auch für die der Bundesrepublik. Ausgehend von der Beschreibung und Analyse dieses Krisenbündels entwickelt Manfred Sohn Vorschläge für Auswege aus der Krise – sowohl kurzfristige, schnell zu realisierende, als auch langfristige. Diese sind aber erst durch die Entfaltung einer kulturvollen außerparlamentarischen Bewegung erreichbar. Dazu beizutragen ist der letztliche Zweck dieses Werkes.

Der Autor Dr. Manfred Sohn (Jg. 1955), verheiratet, Vater von drei erwachsenen Kindern ist seit seiner Schülerzeit politisch aktiv. Seit 1987 bis zur Wahl in den Niedersächsischen Landtag 2008 Angestellter der Versicherungsgruppe Hannover (VGH), dort Mitglied des örtlichen und des Gesamtpersonalrates. Er ist zur Zeit Mitglied des Landesvorstandes der Partei DIE LINKE und Vorsitzender ihrer Landtagsfraktion.

Das Buch kostet 9,95 Euro und ist zu beziehen über info@pahl-rugenstein.de

Samstag, 11. April 2009

Alarmierende US-Haushaltszahlen

Die ersten sechs Monate des aktuellen US-Haushaltsjahres (Beginn: Oktober 2008) geben Barack Obama und der US-Regierung genügend Anlass zur Sorge: Das Defizit betrug Ende März 956,8 Mrd. US-$, ein Rekordwert. Für das gesamte Haushaltsjahr wird ein Minus von 1,75 Billionen erwartet. Das würde 12 % des US-Bruttoinlandsproduktes (BIP) entsprechen. (Zum Vergleich: Die Mastricht-Kriterien der EU sehen ein Defizit von maximal 3 % des BIP vor.)

Bereits in den letzten Jahren wuchs das US-Haushaltsdefizit enorm, um so die schwächelnde Weltkonjunktur (sowie die Kriege in Irak und Afghanistan) zu finanzieren.

Freitag, 10. April 2009

UNCTAD: Systemfehler und Heilmittel

Die Konferenz für Handel und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCTAD) hat eine Studie unter dem Titel "Die globale Wirtschaftskrise: Systemfehler und multilaterale Heilmittel" veröffentlicht. Demnach äußern sich in der gegenwärtigen Krise Fehlentwicklungen in nationaler und internationaler Finanzderegulation, anhaltende globale Ungleichgewichte, das Fehlen einer einheitlichen Weltwährung sowie tiefgehende Inkonsistenzen in Handels-, Finanz- und Geldpolitik.

Der Marktfundamentalismus (sic!) der letzten 20 Jahr habe versagt, die Anreize für Finanzspekulationen haben nicht stabilisierend gewirkt. Entgegen der ökonomischen Lehrmeinung könne der wahre Preis einer Finanzanlage bei objektiver Unsicherheit nicht bestimmt werden - einheitliche, aber falsche, Erwartungen über langfristige Preisentwicklungen müssten früher oder später auf die Realität treffen. Anpassungen wären dann unvermeidlich.

Einige Grundlagen der gegenwärtigen Weltwirtschaft werden in dem Bericht infrage gestellt. Hervorgehoben wird, dass es zwar essenziell für eine Marktwirtschaft sei, dass Unternehmen auf Kosten anderer Unternehmen Marktanteile gewinnen, dass es aber ohne größere Probleme nicht möglich ist, dass à la longue Staaten aufgrund ihrer besseren Wettbewerbsbedingungen auf Kosten anderer Staaten Vorteile ziehen, ohne dafür Rebalanzierungsmechanismen anzubieten (Keynes' "Transfer Problem").

Die Krise hätte nur allzu klar gemacht, dass Globalisierung von Handel und Finanzwelt eine starke globale Kooperation und Regulation verlangen.

>> executive summary
>> Presseunterlagen

Donnerstag, 9. April 2009

Einbruch bei österreichischem Außenhandel - Wende zu Defizit

Österreichs Außenhandel ist im Jänner 2009 gegenüber dem Vorjahresmonat massiv eingebrochen: Die Importe sanken um 18 %, die Exporte um 25 %. Das gab die Statistik Austria diese Woche als vorläufiges Ergebnis bekannt.

Infolgedessen hat sich auch der Ausfuhrüberschuss von 2,4 Mio. € im Jänner 2008 in ein Außenhandelsdefizit von 5,3 Mio. € verwandelt. Allerdings war die österreichische Außenhandelsbilanz für das Gesamtjahr 2008 bereits passiv, da v.a. die Exporte gegen Ende 2008 im Jahresvergleich zurückgingen.

Mittwoch, 8. April 2009

Tálos: Neuer Blickwinkel bei Umverteilung notwendig

Politikwissenschafter Emmerich Tálos war heute zu Gast im Ö1-Morgenjournal. Darin thematisierte er u.a. die verteilungspolitischen Schieflagen der jetzigen wirtschaftlichen Stabilisierungsmaßnahmen: Alles drehe sich nur um die Frage, wie Banken und Unternehmen gerettet werden können. Auf der Strecke bliebe die Frage, wer dafür aufkommt, wenn die Staatshaftung schlagend wird und zu wessen Lasten das Defizit wieder abgebaut wird.

Wichtig in der derzeitigen Krise sei v.a. die Frage der sozialen Absicherung, wo Tálos u.a. die Mindestsicherung ansprach.

Kein Verständnis habe er für das von SP-Chef Faymann vorgebrachte Argument, die Vermögensbesteuerung stehe nicht im Regierungsprogramm. Die Regierung habe schließlich auch in der Frage der Staatshaftung für Banken rasch reagiert, obwohl diese nicht im Regierungsprogramm stand. "Also soll sie auch nicht auf dem sozialen Auge blind sein."

Tálos sprach sich für eine Besteuerung von Finanzvermögen, oder eine Finanzierung der Sozialversicherung über Wertschöpfungsbestandteile aus. Ganz allgemein brauche es in der Umverteilungspolitik einen neuen Blickwinkel, der Arbeit entlaste und Vermögen stärker besteuert.

Prompt reagierte Wirtschaftskammer-Chef Leitl mit einer Aussendung, in welcher er neuen Vermögenssteuern eine Absage erteilte.

Demgegenüber forderte auch AKNÖ-Vizepräsident und FSG-NÖ-Chef Hermann Haneder in einer heutigen Presseaussendung eine rasche Vermögensbesteuerung: "Dass Vermögen im Vergleich zum Faktor Arbeit zu wenig besteuert wird, ist schon lange eine Tatsache, auf die wir immer wieder hingewiesen haben."

Freitag, 3. April 2009

isw-Report zur Krise erschienen

Heute erscheint der Report Nr. 76 des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung / München (isw): "Krise. Rezession. Absturz. Wege aus der Krise". Darin wird der aktuelle "global synchrone Abschwung" als allgemeine Strukturkrise des modernen Kapitalismus untersucht. Ökonomische Sanierungsprogramme werden ebenso unter die Lupe genommen wie politische Machtverhältnisse, wobei Perspektiven dazu über das kapitalistische System hinaus aufgezeigt werden.

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Mittwoch, 1. April 2009

Rekordarbeitslosigkeit im März

Zweckoptimismus - nur so kann man die heutige SP-Presseaussendung von Sozialminister Hundstorfer deuten, welche die Tatsache, dass es seit Februar 30.000 Arbeitslose weniger gibt, auf die Maßnahmen der Regierung zurückführt, die nun "greifen" würden.

Tatsächlich ist das ein rein saisonaler Effekt und die Arbeitslosigkeit hingegen rasant gestiegen: 271.127 Menschen waren im März 2009 arbeitslos gemeldet - das ist gegenüber dem Vorjahresmonat ein Plus von 60.671 Arbeitslosen bzw. 28,8 %!

Hinzuzurechnen sind dazu noch 62.880 Personen, die sich in Schulung befanden, sodass im März 334.007 Menschen ohne Job waren - das sind um 9.000 mehr als im Rekordjahr 2005.

Gestiegen ist auch die Kurzarbeit: auf 47.158 Kurzarbeiter in 231 Betrieben. Im April werden 5.180 aus 48 Unternehmen hinzukommen, darunter 2.600 Beschäftigte der Austrian Airlines sowie 1.400 Mitarbeiter des Halbleiterproduzenten Infineon.

Dienstag, 31. März 2009

Löhne runter? Preise runter?!

Großkoalitionäre Einigkeit scheint zu herrschen, wenn es darum geht, die Krise auf die Schultern der ArbeitnehmerInnen abzuwälzen: In den letzten Tagen haben ÖVP-Wirtschaftsminister Mitterlehner sowie die "rote" Siemens-Chefin Ederer mit der Forderung nach einem Lohnverzicht aufhorchen lassen. Politikwissenschafter Emmerich Talos hat völlig zurecht dagegen argumentiert, dass ein Lohnverzicht keine Arbeitsplätze sichert - eine Erfahrung, die in den letzten Jahren besonders die deutsche ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung machen musste.

Vielmehr Nachdruck muss dieser Argumentation in der gegenwärtigen Situation verschafft werden. Prinzipiell drohen nämlich deflationäre Prozesse, wenn die Lohnabschlüsse unter der Inflationsrate + Produktivitätssteigerung bleiben. In den letzten Jahren war dies durchwegs bereits der Fall, allerdings konnte dieses latente Risiko durch wachsende Exporte verdeckt werden.

In der jetzigen Situation, wo die Kaufkraft weltweit stagniert, kann der zu geringen Güternachfrage aber auch nicht mehr durch Exportexzesse entgegengewirkt werden. Bleibt auch die Nachfrage im Inland aus, so entsteht ein Druck auf die Güterpreise, da die Waren nicht mehr zu den gewohnten Preisen abgesetzt werden können. Fallen die Preise, so spricht man von einer Deflation - dem Gegenteil der Inflation (wo Waren teurer werden). Spanien hat als erstes EU-Land gestern bereits eine leichte Deflation gegenüber dem Vorjahr vermeldet.

Deflation mag auf den ersten Blick nach Jahren steigender Lebensmittel- und Energiekosten verlockend klingen, birgt aber auch große Gefahren.

Zum einen erhöht eine Deflation die Schuldenlast aller Schuldner.

Ferner ist es aber auch schwierig, die Konsumnachfrage sowie die Investitionen zu simulieren. Wenn die Preise im Fallen sind, wird eine vernünftige Käuferin ein neues Auto nicht heute kaufen, sondern wenn möglich noch etwas Zuwarten, bis die Preise weiter gesunken sind. Auch Unternehmer werden es ihr bei Anlageinvestitionen gleichtun.

Einer solchen Situation ist auch durch das klassische Instrument monetaristischer Wirtschaftspolitik, der Geldpolitik, nicht nachzukommen. Das Problem ist nämlich nicht, dass zu wenig Geld im Umlauf wäre, sondern dass sein Umlauf stockt. Das jahrelange Dahintümplen der japanischen Wirtschaft in einer Deflation ab Mitte der 1990er Jahre hat gezeigt, wie schwierig einer solchen Situation - schon unter international florierenden Verhältnissen - beizukommen ist.

Die Marktradikalen werden einsehen müssen, dass ihr freies Spiel der Marktkräfte horrende gesellschaftliche Verluste produziert, wenn es keinen Spielregeln unterworfen ist. Ein bisschen ist es wie mit dem magischen volkswirtschaftlichen Vieleck: Werden die Finanzmärkte liberalisiert, so bedarf es gut regulierter Arbeitsmärkte, die als Lohnanker deflationären Prozessen vorbeugen. Sollen Finanz- und Arbeitsmärkte liberalisiert werden, dann entstehen solche Prozesse verstärkt und die Politik muss zu fiskalpolitischen Maßnahmen greifen, um die unteren Einkommensschichten massiv zu entlasten - eine Maßnahme gegen welche die Monetaristen dereinst ins Feld gezogen sind. Nur Markt alleine funktioniert eben nicht.

Montag, 30. März 2009

20.000 TeilnehmerInnen am Aktionstag 28. März

Laut VeranstalterInnen nahmen am Samstag 20.000 Menschen am Aktionstag "Wir zahlen nicht für eure Krise!" in Wien teil. Die Bundespolizeidirektion Wien sprach in einer Aussendung von 6.500 TeilnehmerInnen, die sich "erwartungsgemäß friedlich und geordnet" über die Maria Hilfer Straße zum Parlament bewegten.

Fotos finden sich
>>hier und
>> hier

Und hier gibt es auch ein Video.

Sonntag, 29. März 2009

Verteilung und Krise

Dass die verteilungspolitischen Schieflagen der letzten Jahr(zehnt)e auf Dauer nicht gut gehen können, war den meisten kritisch denkenden Köpfen klar. Dass es einen Zusammenhang zwischen ungleicher Einkommensverteilung, Beschäftigungsabbau und Krise geben könnte, hat sich mittlerweile sogar schon bis zur Regierung durchgesprochen. So kann man auf Seite 23 des im Jänner erschienenen Sozialberichts 2007 - 2008 des Bundesministeriums für Soziales und Konsumentenschutz lesen:

"Die letzten drei Jahrzehnte waren in den europäischen Industriestaaten durch schwaches Produktions- und Einkommenswachstum sowie hohe Arbeitslosigkeit und zunehmende Ungleichheit in der Einkommensverteilung gekennzeichnet. Die Verteilung des Volkseinkommens verschob sich von den Lohneinkommen zu den Gewinn- und Vermögenserträgen, gleichzeitig nahmen die Einkommensdisparitäten zu. ...
Die ökonomische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat nicht nur die Verteilung der Markteinkommen zu Lasten der Lohneinkommen verschoben, sondern auch die Abgabenbelastung."

Und ferner: "Stagnierende Einkommen und zunehmende Ungleichheit in ihrer Verteilung dämpfen die Konsumnachfrage und damit Kapazitätsauslastung und Produktion - sowie in der Folge die Beschäftigung."

Na also, es geht doch!

Mittwoch, 25. März 2009

AKNÖ: Rekorde bei Insolvenzen, Kurzarbeit & Kündigungen

AKNÖ-Vizepräsident Hermann Haneder wies am Montag auf die immer angespanntere Lage am (nieder-)österreichischen Arbeitsmarkt hin:
  • Aktuell sind in NÖ 54.066 ArbeitnehmerInnen arbeitslos, das ist ein Anstieg um 24,7 % gegenüber dem Vorjahr (Österreich: 301.695; + 23,7 %)
    Besonders Männer, AusländerInnen, LeiharbeiterInnen und Jugendliche sind davon betroffen.
  • Die Zahl der zur Kündigung beim AMS vorgemerkten ArbeitnehmerInnen ("Frühwarnsystem") hat sich in NÖ vom 1. Halbjahr 2008 (1.323) zum 2. Halbjahr 2008 (11.642) nahezu verzehnfacht. Eine Trendumkehr ist nicht erkennbar - im Gegenteil: In den ersten 11 Kalenderwochen des Jahres 2009 verdreifachte sich die Zahl der Frühwarnungen (3.310) gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres (1.003).
  • Besonders drastisch hat sich die Kurzarbeit entwickelt:
    2007 haben 7 Betriebe für 135 ArbeitnehmerInnen Kurzarbeit beantragt
    2008haben 4 Betriebe für 83 ArbeitnehmerInnen Kurzarbeit beantragt
    seit Jahresbeginn 2009 haben bereits 54 Betriebe für 9.795 ArbeitnehmerInnen Kurzarbeit beantragt
Haneder wies ferner darauf hin, dass die bisher beschlossenen Rettungsmaßnahmen der Bundesregierung auf die Kapitalversorgung der Wirtschaft abzielten und jetzt an die ArbeitnehmerInnen gedacht werden müsse - v.a. um die chronisch schwache Binnennachfrage anzukurbeln. In diesem Zusammenhang forderte er arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, Entlastungen für ArbeitnehmerInnenhaushalte und einen Investitionsschub für regionale Infrastrukturen, v.a. ein 500-Millionen-Euro Investitionspaket für die niederösterreichischen Gemeinden.

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Dienstag, 24. März 2009

Die (doppelte) Tragik der Allmende - Teil III

In den bisherigen Teilen dieser kleinen Serie wurde anhand der Tragödie der Allmende darauf hingewiesen, dass das individuelle Streben nach Profit nicht zum Wohle aller führen muss, sondern gesellschaftlich hohe Kosten verursachen kann (Teil I). Ferner wurde aufgezeigt, dass solche Widersprüche zwischen Eigentumsverhältnissen und Produktivkräften Motor der inneren gesellschaftlichen Dynamik sind und es die ökonomische Gesellschaftsformation schafft, diese Widersprüche immer wieder für sich zu lösen (Teil II).

Im Zuge dieses "Lösungs"mechanismus (welcher den Widerspruch nicht löst, sondern ihn nur auf ein neues Niveau hebt), erweist sich die Frage des Eigentums als zentral - praktisch, wie im Falle der ursprünglichen Akkumulation gezeigt (siehe Teil II), aber auch theoretisch - denn aus dem Eigentum legitimiert sich die Aneignung.

Einer der größten modernen Apologeten dieses Privateigentums ist der Ökonom Ronald Coase, dessen 1960 formuliertes Theorem (unter gewissen Annahmen) besagt, dass es für die Verteilung der Ressourcen in der Gesamtwirtschaft letzlich gleich ist, wem ein bestimmtes Gut gehört (solange es jemandem gehört!), weil jede Eigentümerin nach der profitabelsten Nutzung dieses Guts strebt (Coase-Theorem), was ihm 1991 auch den Ökonomie-"Nobelpreis" einbrachte.

Praxisrelevant fragt man sich in diesem neoklassischen Theoriestrang, wieso der Bestand bestimmter Meeresfische gefährdet ist, während es keinen Mangel an Hühnchen gibt; und antwortet: Weil die Fische allen gehören, die Hühnchen aber Einzelnen. Wenn der gesamte Fischbestand der Erde Eigentum eines Weltdiktators wäre, so das Kalkül der Marktliberalen, würde dieser eine Überfischung verhindern, um auch künftig Bestände für den Verkauf zu besitzen. Zwar hat der Diktator Samoza am Largo de Nicaragua das Gegenteil bewiesen, doch hat die Idee dennoch praktischen Output gefunden: Etwa beim weltweiten Handel an Emissionsrechten.

Zugespitzt auf die heutige Situation kann man sich die Frage stellen: Sind unsere Finanzmärkte zu sehr in öffentlicher Hand und verursachen deshalb Ineffizienzen? Sollte man nicht die vermeintlich bestehende "Überregulation des Staates" auf den Finanzmärkten durch private Verfügungsrechte ersetzen? Könnte man dadurch nicht Externalitäten, die derzeit auf die gesamte Gesellschaft abgewälzt werden, internalisieren? Entstehen solche Ineffizienzen nicht nur deshalb, weil der Staat störend in die Selbstheilung des freien Marktes eingreift?

Gewiss: Eine solche Argumentation ist Humbug. Doch die Neoliberalen - die sich vorläufig in einer Krise befinden - haben uns auch schon blödere "Argumentationen" verkauft. Und spätestens wenn die ersten Lichtblicke am liberalen US-Arbeitsmarkt in greifbarer Ferne zu erkennen sind während das "überregulierte" Europa noch unter hoher Arbeitslosigkeit leidet, werden sie wieder die "Effizienz des Marktes" hochstilisieren und den Marsch zur Enteignung der Gesellschaft blasen.

Für den Kapitalismus mögen Momente epochemachend sein, in denen große Menschenmassen von ihren Subsistenzmitteln losgerissen werden (siehe Teil II). Auf seiner imperialistischen Stufe leben Menschen kaum mehr von Subsistenzmitteln. Dennoch kann es zu nachhaltigen Änderungen in der Stellung der Besitzenden zu den Produktionsmitteln, zu Eingriffen in die Eigentumsverhältnisse kommen.

Aus der historischen Betrachtung der Tragik der Allmende lässt sich folgern, dass es nicht nur einen systemüberwindenden, bzw. "anti-liberalistischen" ("etatistischen") Ausweg aus der gegenwärtigen Akkumulations- und Regulierungskrise des Kapitalismus gibt. Dies gilt umso mehr, da diese mit einer der größten Krisen der Linken und ArbeiterInnenbewegung zusammenfällt. Dass führende Vertreter letzterer auf eine Jahrhundertkrise des kapitalistischen Systems nicht mehr Antworten parat zu haben scheinen, als Kurzarbeit und Qualifizierungsmaßnahmen, spricht für sich.

Dennoch besteht Hoffnung. Galileo Galilei mag vor dem Inquisitionsgericht unter Androhung von Folter seine Aussagen widerrufen haben - doch hielt er an seinen Überzeugungen fest und veröffentlichte die Discorsi - letztlich setzte sich die kopernikanische Wende durch. Wie Bertolt Brecht in Szene 8 des Lebens des Galilei schreibt, setzt sich aber "nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein." Allerdings soll Brecht auch gesagt haben, dass sich immer nur soviel Vernunft durchsetze, wie zur Aufrechterhaltung bestehender Zustände nötig sei. Die institutionalisierte österreichische ArbeiterInnenbewegung mag für eine solche passive Revolution, die letztlich einer Systemrettung gleichkommt, besonders empfänglich sein. Auch Galilei's Intention war es ja nicht, die Kirche zu stürzen, sondern sie vor einem Irrtum zu bewahren. Dann droht jedoch, dass der Opener zu Galilei's Szene 4 für sich steht: "Das Alte sagt: So wie ich bin, bin ich seit je."

Es sei denn "Das Neue sagt: Bist du nicht gut, dann geh."

Sonntag, 22. März 2009

Die (doppelte) Tragik der Allmende - Teil II

Die im letzten Beitrag geschilderte Tragik der Allmende mag eine treffende Beschreibung für das Herdenverhalten auf den Finanzmärkten sein, wo Profitgier der Einzelnen nicht zum Wohle aller, sondern zu hohen Kosten für die Gesellschaft geführt haben. Naheliegend also z.B., dass Lucas Zeise & Co. ihren Blog Herdentrieb nannten, weil die Hirten die Richtung nicht kennen und herdenweise immer wieder in eine Richtung laufen und damit Instabilitäten verursachen.

Doch aus diesen instabilen und Krisenmomenten bereits Gedanken über ein Ende des Kapitalismus zu spinnen (z.B. Altvater, 2005: 20), ja es überhaupt nur als Kritik des kapitalistischen Systems per se zu verstehen, ist zunächst zumindest gewagt - darf doch die Anpassungsfähigkeit des Systems in seinen eigenen Krisenmomenten nicht unterschätzt werden.

Sehen wir uns zunächst einmal an, wie sich dieses kapitalistische System überhaupt historisch entwickelte, was natürlich ein langfristiger, widersprüchlicher Prozess war. Gemeinsam ist diesem Prozess aber, dass in ihm all jene Umwälzungen epochemachend sind, "die der sich bildenden Kapitalistenklasse als Hebel dienen; vor allem aber die Momente, worin große Menschenmassen plötzlich und gewaltsam von ihren Subsistenzmitteln losgerissen und als vogelfreie Proletarier auf den Arbeitsmarkt geschleudert werden", wie es Karl Marx (XXIII: 744) im Kapital erwähnt. Dabei hebt er die Expropriation, also Enteignung, des ländlichen Produzenten als "Grundlage des ganzen Prozesses" hervor, wobei explizit auf die private Aneignung von Staats-, Clan- und Gemeindeeigentum zu modernem Privateigentum eingegangen wird.

Was ist also aus unserer idyllischen Allmende geworden, diesem gemeinschaftlichen Ort individueller Interessenskumulation, als das auf seinem Boden herrschende Eigentumsverhältnis dem Fortgang der gesellschaftlichen Entwicklung entgegenstand? Er wurde im "Gemeininteresse" individualisiert, d.h. privatkapitalistisch angeeignet. In der Geschichte der ökonomischen Gesellschaftsformation vollziehen sich solche Umwälzungen, wo die Eigentumsverhältnisse mit den materiellen Produktivkräften in Konflikt geraden, zu Hauf - sie sind in dieser Gesellschaftsformation treibendes Moment gesellschaftlicher Entwicklung überhaupt. In der Tragödie der Allmende ist dieser Widerspruch quantitativ (zahlenmäßiges Wachstum der Produktivkraft Schaf) dargestellt, er hat natürlich aber auch ein qualitative Seite. So geraten die Eigentumsverhältnisse der Sklavenhaltergesellschaft (Sklavenhalter hält Eigentum an Sklavenarbeiter und von ihm verwendeten Werkzeugen) immer mehr in Widerspruch mit deren Produktivkräften, je qualitativ hochwertiger sich letztere entwickeln, da der Sklave kein persönliches Interesse daran hat, diese sachgerecht schonend einzusetzen, geschweige denn weiterzuentwickeln.

Derartige Umwälzungsprozesse passieren nicht von heute auf morgen, indem sich ein Konsortium an Sklavenhaltern, Kapitalisten oder Finanzmagnaten trifft und nach Problemanalyse eine Lösung umsetzt - oft sind es jahrhundertelange Prozesse. "Rome wasn't built in a day". Es ist aber auch nicht an einem einzelnen Tag untergegangen.

Es bleibt natürlich zu bezweifeln, ob das antike Rom überhaupt untergegangen ist, oder lediglich einen Umwälzungsprozess durchlaufen hat. Nachdem dies ein ökonomischer und kein historischer Blog ist, bleibt aber zu fragen: In welchem Umwälzungsprozess befindet sich unser gegenwärtiges Gesellschaftssystem? Wenn sich alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen als Tragödie und Farce sozusagen zweimal ereignen, droht die Tragödie der Allmende dann, zur Farce zu werden?

Der dritte und letzte Teil folgt am Dienstag, 24. März.

Dienstag, 17. März 2009

Die (doppelte) Tragik der Allmende - Teil I

Die Sozialwissenschaft und v.a. die Ökonomie lieben das vereinfachte Modell. Ein solches ist die Tragedy of Commons (Tragik bzw. Tragödie der Allmende). Die Storyline dieser Geschichte, die Garett Hardin 1968 in "Science" zur Diskussion stellte, geht etwa so:

Es gibt eine Weide, die für alle frei zugänglich ist. Jede rational agierende Hirtin wird nun versuchen, soviel wie möglich von seinem Vieh auf dieser Allmende weiden zu lassen. Solange die Gesamtzahl der Tiere unterhalb der Aufnahmefähigkeit des Landes bleibt, entsteht kein Problem. Wird diese allerdings überschritten, werden zusätzliche Tiere dennoch auf die Weide geschickt. Schließlich kann jede Hirtin eine Kosten-Nutzen-Rechnung an- und dabei feststellen, dass er den (Nahrungs-)Gewinn für jedes zusätzliche Tier für sich allein verbuchen kann, während die Nutzungskosten der Allmende durch Überweidung auf alle Hirtinnen aufgeteilt würden. Das rationale Streben nach eigenem Vorteil, das laut neoklassischer Vorstellung zum allgemeinen Wohlergehen aller führe, führt in solch einem System bis zu einem Totalzusammenbruch (der Weide).


Dieses Modell wurde bisher v.a. in der Bevölkerungsökonomie, der Spieltheorie, aber auch in der Politikwissenschaft (Elionor Ostrom) und der Sozialpsychologie angewendet. Man mag sie zur Modellierung der Überfischung der Meere und zur Verschmutzung der Umwelt durch externe Effekte der Produktion verwenden.

Und ist nicht die gegenwärtige Finanzkrise eine weitere unglaublich treffende Anwendungsmöglichkeit der Tragik der Allmende? Haben Profitgier der Einzelnen nicht zu hohen Kosten für alle geführt? Hat an den Aktienmärkten nicht ein ähnliches Herdenverhalten eingesetzt, das letztlich zu einem Totalzusammenbruch führte?

Teil 2/3 folgt am Sonntag, 22. März

Montag, 16. März 2009

SNB senkt Leitzins auf historischen Tiefststand

Die Schweizer Nationalbank (SNB) hat vergangenen Donnerstag den Leitzins um einen Viertel Prozentpunkt auf den historischen Tiefststand von 0.25 % gesenkt.

Gleichzeititg kündigte die SNB an, am Geldmarkt massiv intervenieren zu wollen. In den letzten Monaten haben verunsicherte SparerInnen weltweit ihr Geld im Schweizer Franken angelegt, der ja bekanntlich als "sicherer Hafen" gilt. Das hat allerdings zu einer Aufwertung des Franken gegenüber Euro und US-$ geführt, was wiederum international die schweizer Exporte verteuert und so der exportorientierten schweizer Wirtschaft abträglich ist.

Nun möchte die SNB konkret Fremdwährungen einkaufen und im Gegenzug Franken auf den Markt werfen, um so eine weitere Währungsaufwertung zu verhindern und durch diese "wettbewerbsbezogene Entwertung" die Konkurrenzfähigkeit der eingenen Industrien erhöhen.

Dieser Schritt ist v.a. deshalb beachtlich, weil die Gruppe der 10 (G 10) führenden Notenbanken, der auch die SNB angehört, staatliche Interventionen auf den Devisenmärkten eigentlich ablehnt. Die SNB ist nun seit sieben Jahren das erste Mitglied, das eine offene Geldmarktinvestition ankündigte. Die SNB selbst intervenierte zuletzt im August 1995. Einstweilen genügte allein die Ankündigung, um den gewünschten Effekt zu erzielen: Der Franken stürtzte nach der Pressemitteilung der SNB so stark ein, wie es noch nie innerhalb eines einzigen Tages der Fall war.

Dabei könnte es allerdings nicht bleiben: Auch die japanischen Exporte sind stark unter Druck gekommen und im Jänner um 48 % (gegenüber dem Vorjahr) eingesackt, was erstmals seit 13 Jahren eine passive Leitstungsbilanz verursachte. Die japanische Nationalbank könnte also dem schweizer Vorbild folgen.

Sonntag, 15. März 2009

Yes, there is such thing as a free lunch (lecture)

Die Studienvertetung des SOWI-Dekanats und die Österreichische HochschülerInnenschaft an der Universität Linz haben eine wöchentliche Vortragsserie zur Finanzkrise ins Leben gerufen.

Für alle BesucherInnen dieser Lunch Lecture gibt es - solange der Vorrat reicht - ein gratis Lunch Paket.

Die nächsten Themen:

  • Zur Praxis des Finanzkapitalismus (18.3., Manfred Holztrattner)
  • Finanzmarktpolitische Ursachen der Krise (25.3., Stephan Schulmeister)
  • Die Krise und die osteuropäische Wirtschaft (31.3., Michael Landesmann)
  • Die Krise und der österreichische Arbeitsmarkt (22.4., Gudrun Biffl)
  • Die Krise und die oberösterreichische Wirtschaft (29.4., Rainer Barthel)
  • Neoliberalismus und sozialdemokratische Politik (6.5., Josef Weidenholzer)
  • Neoliberalismus und christlich-soziale Politik (13.5., Markus Schlagnitweit)
  • Zur Kulturgeschichte des Neoliberalismus (20.5., Walter Ötsch)
  • Die Krise: Ein Comeback für Keynes? (27.5., Engelbert Stockhammer)
  • Ethische Grundlagen der ökonomischen Theorie (3.6., Kurt Rothschild)
  • Die Krise und der Bankensektor (10.6., Teodoro Cocca)

Nähere Infos zu den Veranstaltungen und Downloads dazu finden sie hier.

Donnerstag, 12. März 2009

Marxistische Blätter - Die Krise der Weltwirtschaft

Die aktuelle Ausgabe der Marxistischen Blätter befasst sich in einem Schwerpunkt mit der Krise.
Besonders empfehlenswert ist der Beitrag von Gretchen Binus die aus der Sicht der SMK-Theorie auf die Finanzkrise als Resultat der staatsmonopolistischen Regulierung eingeht.

Die einzelnen Beiträge finden sich hier.

Kurz, kürzer, am kürzesten!

Derzeit kann man sich ja nicht vor den Meldungen über Kurzarbeit, sinkende Aktienkurse und steigende Arbeitslosigkeit retten. Schwer da den Durchblick zu behalten und mit den Zahlen etwas anfangen zu können. Daher hier ein kurzer Überblick, der eine Dimension anzeigen soll.

Kurzarbeit im Jänner 2008: ~ 200
Mitte Jänner 2009 prognostizierte Kurzarbeit für Jänner 2009: 15.200
tatsächliche Kurzarbeit Jänner 2009: 27.575

Daneben stieg aus die tatsächliche Arbeitslosigkeit weiter an (+ 12,2 % gegenüber dem Vorjahresmonat). Erst gestern wurde bekannt, dass die Austrian Airlines ab 1. April ebenfalls 2.600 ArbeitnehmerInnen in Kurzarbeit schicken werden.

Mittwoch, 11. März 2009

WIFO: Krise in Österreich vertieft sich

Die Schatten über der Weltwirtschaft werden auch in Österreich immer dunkler. Der jüngste Konjunkturtest des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) "deutet auf eine Vertiefung der Krise" hierzulande hin.

Stagnierte die Wirtschaft bereits im 3. Quartal 2008, so schrumpfte sie im 4. Quartal 2008 gegenüber dem Vorjahresquartal. Dieser Abwärtstrend hält auch im 1. Quartal 2009 an: Mehr als 50 % der befragten Unternehmen aus der Sachgüterindustrie beurteilten die aktuelle Geschäftslage als nicht zufriedenstellend. V.a. die Exporte wurden als zu gering eingeschätzt, wo sich die Rezession der wichtigsten Handelspartner bemerkbar macht. Diese Unternehmensbewertung ist die negativste seit über 10 Jahren.

Dienstag, 10. März 2009

Erstmals Rückgang der Weltwirtschaft seit 2. Weltkrieg?

Die Weltbank hat am Sonntag darauf aufmerksam gemacht, dass die Weltwirtschaft 2009 erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges schrumpfen könnte.

Bereits im Herbst 2008 hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) vor einer Rezession gewarnt, worunter der IWF entgegen der gängigen Definition bereits ein Wachstum der Weltwirtschaft von unter 3 % versteht. Nun soll es also noch schlimmer kommen. Die Industrieproduktion könnte im ersten Halbjahr 2009 um 15 % gegenüber dem Vorjahr sinken. Und das war bereits alles andere als rosig.

Der Welthandel wird gar den größten Einbruch seit 80 Jahren verzeichnen, wobei die größten Verluste in Ost-Asien stattfinden. Das rückt auch ins Bewusstsein, dass die globalen Verluste der Wirtschaftskrise nicht jedes Land gleichermaßen betreffen. Ausfälle im Ausmaß von 270 - 700 Milliarden Dollar werden die Entwicklungsländer 2009 verzeichnen - eine Größenordnung, der weder sie selbst noch internationale Finanzinstitute annähernd gerecht werden können. Lösungen seien daher von Regierungen und multinationalen Institutionen gefragt.

Zur Presseaussendung

Montag, 9. März 2009

AK Wien: Notleidende Banken

Die Wiener Arbeiterkammer hat unter dem Titel "Notleidende Banken" eine Studie veröffentlicht, die sich unterschiedlichen Fragestellungen im Kontext der sogenannten Finanzmarktkrise widmet. Über den Titel hinausgehend sollen auch Zusammenhänge von Finanz- und Realwirtschaft sowie Eckpfeiler eines neuen Finanzsystems skizziert werden.

Die Studie findet sich hier.

Freitag, 6. März 2009

What counts

And it's one, two, three, what are we counting for

don't ask me I don't give a damn, next stop isn't very calm

And it's five, six, seven, open up the pearly gates

ain't no time to wonder why, whoopee we're all gonna cry


germanys machine tool orders january 2009 on a year-to-year comparison: -40%
cars beeing assembled in america in january 2009 on a year-to-year comparison: -60%
percentage of chinese toy exporters which went bust last year: ~ -50%
taiwan's shipments of laptop computers in january 09: -33%
industry production during the last 3 months in us: -3,6% (+13,8% in 2008)
industry production during the last 3 months in gb: -4,4% (+16,4% in 2008)
industry production during the 4th quarter of 2008 in germany: -6,8%
industry production in the 12months to december of 2008 in taiwan: -32%
industry production during the 4th quarter of 2008 in taiwan: -21,8%
industry production during the 4th quarter of 2008 in japan: -12%
Venezuelas earnings from oil in 2008: $92,9 billion
venezuelas earnings from oil in 2009: $21,6 billion (forecast)
corporate profits in japan in 2008: -89%
world air cargo traffic in december 2008: -23%
exports of singapore in the last quarter of 2008: -17%
exports of germany in the last quarter of 2008: -8% (annualised rate)
exports of japan in the 12months to december of 2008: -35%
exports of china in the 12months to january of 2009: -18%
imports to china in the 12months to january of 2009: -43%
imports to vietnam in the 12months to december 2008: -45%
exports of taiwan in the 12months to december 2008: -42%
exports to china from the rest of asia in the 12months to december 2008: -27%
world foreign direct investment inflows in 2008: -21%
new car registrations in US year-to-year in january: -37,1%
private capital inflow into emerging markets 2007 to 2009: -50%
net loss of boeing in the fourth quarter 2008: $56 million
gdp fall at an averaged annualised rate in the fourth quarter of 2008 in hong kong, singapore, south korea and taiwan: -15%
exports at an averaged annualised rate in the fourth quarter of 2008 in hong kong, singapore, south korea and taiwan: around -50%
gdp euro area 2008: 0,8%
gdp euro area 2009: predicted -2,1%
gdp austria: $373 billion (nominal)
loans from austrian banks in west europe (with kazahkstan, russia and ukraine): €230 billion

price of a volkswagen-share on friday, the 24.10.2008, in euro: 210,85
price of a volkswagen-share on tuesday, the 28.10.2008, in euro: 945
loss of adolf merckle, who bet on falling volkswagen stock prices, in euro: about 1 billion
transaction volume of ratiopharm, one of merckles companies, in germany in 2007, in euro: 819,4 millionen
time to build a volkswagen in hours: 35,2
approximate time, marcel proust needed to write his epic novel "auf der suche nach der verlorenen zeit", in years: 17
toyota's output 2008: -50%

payments of citigroup to its empoyees in 2007: $34.4 billion
recent stock market value of citigroup: $18,1 billion
post-tax profits of merrill lynch in 2005 and 2006 combined: $12.6 billion
losses of merrill lynch in the fourth quarter of 2008 alone: $15,3 billion
wall street workers who said that they received bonus for 2008, despite the carnage: 79%
americans who have faith in the financial system: 22%
price for which dick fuld, onetime leader of lehman brothers, sold his three-acre florida estate (to his wife): $ 100

coffee sold in UK which is instant coffee: 80%

to be continued

Donnerstag, 26. Februar 2009

Studie stellt Sinnhaftigkeit von Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen in Frage

Letzte Woche wurde in Brüssel ein Studienentwurf zur Privatisierung öffentlicher Dienste, der von der Europäischen Kommision in Auftrag gegeben wurde, vorgestellt. Untersucht wurden die vier Sektoren Energie, Post, Personennahverkehr und Gesundheitswesen in sechs Ländern (A, B, D, PL, S, UK). Die Studienergebnisse sind ernüchternd: Gehaltseinbußen, prekäre Beschäftigung, Qualitätseinbußen für KonsumentInnen bei arbeitsintensiven Dienstleistungen.

Mehr Infos

Mittwoch, 25. Februar 2009

EU-Bankensystem ist bankrott

44 % der gesamten Vermögenswerte aller europäischen Banken bestehen aus 'hochgiftigen Schrottpapieren'. Über die Konsequenzen schreibt Rainer Rupp in der Jungen Welt: Link

Dienstag, 24. Februar 2009

Lettland rechnet mit Schrumpfen des BIP um 12 %

In Lettland rechnet das Finanzministerium für 2009 mit einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) um ganze 12 %. Gleichzeitig dürfte die Arbeitslosigkeit auf 12,7 % steigen. Bereits vergangene Woche leitete die EU-Kommision zudem ein Defizitverfahren gegen Lettland (sowie fünf weitere Länder) ein.

Im Nachbarland Estland rechnet man ebenfalls mit einem zweistelligen Minuswachstum und steigender Arbeitslosigkeit. Während allerdings für Lettland noch von einer Inflation von 3,3 % ausgagangen wird, zeigen sich in Estland durch sinkende Preise bereits erste Anzeichen einer Deflation.

Aus dem dritten baltischen "Tiger", Litauen, liegen derzeit keine aktuellen Prognosen vor, doch sind auch dort die Aussichten trüb.

Mittwoch, 18. Februar 2009

Kurzarbeit weiter im Ansteigen

Kurzarbeit ist weiterhin drastisch angestiegen - und zwar stärker als noch im Jänner erwartet wurde. Derzeit verrichten laut AMS 27.575 ArbeitnehmerInnen in 146 Betrieben Kurzarbeit. Dem AMS entstehen dadurch Kosten von etwa 87,2 Millionen Euro. Betroffen sind v.a. Oberösterreich, Steiermark und Niederösterreich. Branchenmäßig trifft es v.a. die Automobil- und Zuliefererindustrie.

Bis Ende März werden zu diesen Zahlen fix weitere 19 Betriebe mit 5.458 betroffenen Beschäftigten hinzukommen. Über 33.000 ArbeitnehmerInnen werden dann in Österreich kurzarbeiten.

Mittwoch, 11. Februar 2009

Jörg Huffschmid hält Seminar an der Uni Wien

Der Studienprogrammleitung Orientalistik, Afrikanistik, Indologie und Tibetologie an der Universität Wien ist es zu verdanken, dass der deutsche Professor für Politische Ökonomie und Gründer der Memorandum-Gruppe, Jörg Huffschmid, von April bis Juni ein Semiar zum Thema "Internationale Finanzmärkte: Entwicklung, Krise und Reformalternativen" halten wird.

Dienstag, 10. Februar 2009

6-Punkte-Programm für solidarische und demokratische Überwindung der Krise beschlossen

Auf Einladung der "Initiative für eine demokratische Wende" trafen sich vergangenen Samstag, 7.2., rund 80 BasisaktivistInnen aus ganz Österreich in Linz. Trotz vielfältiger Sichtweisen verständigten sich die TeilnehmerInnen auf ein 6-Punkte-Programm, dessen sofortige Umsetzung von Regierung und Parlament eingefordert wird:
  1. Eine Steuerreform, die die unteren Einkommen entlastet und Spitzenverdiener, Konzerngewinne und Vermögen belastet.
  2. Die demokratische Kontrolle aller Banken und Finanzinstitute
  3. Privatisierungsstopp
  4. Mehr Geld zum Ausbau der Sozial- und Gesundheitsdienste, im Bereich der Bildung, Forschung und Kultur, zur Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs und der Stärkung umweltfreundlicher Technologien.
  5. Eine solidarische Organisation des Arbeitsmarktes
  6. Eine demokratische Erneuerung - mehr Demokratie in allen Fragen
Diese Forderungen sollen Grundlage einer bundesweiten Demonstration am 16. Mai zum Parlament sein.

Das nächste Koordinierungstreffen der Initiative findet am 19. Februar um 18 Uhr in Wien statt.

Mittwoch, 4. Februar 2009

Jännerarbeitslosigkeit + 12,2 %: über 300.000 Arbeitslose

Die Zahl der Arbeitsuchenden stieg im Jänner im Jahresvergleich um 12,2 % auf 301.529 Arbeitsloe an. Rechnet man die 53.517 in Schulung befindlichen Personen dazu, waren im Jänner 355.046 Arbeitsuchende ohne Erwerbsarbeit. Die Kurzarbeit ist auf rund 30.000 Betroffene gestiegen.

Besonders betroffen vom Anstieg der Arbeitslosigkeit waren Jugendliche und Männer. Branchenmäßig waren v.a. Leiharbeiter (+ 32 %), der produzierende Bereich (+ 29 %), sowie der Bau (+ 10 %) betroffen. Ländermäßig verzeichneten Salzburg (+ 26,6 %), Oberösterreich (21,7 %) und Kärnten (21,1 %) die stärksten Anstiege, während sich Wien mit +1,9 % relativ stabil gab.

Samstag, 31. Januar 2009

"Die Ökonomie braucht eine wissenschaftliche Revolution"

So lautet der Titel eines Aufsatzes des französischen Ökonomen Jean-Philippe Bouchard in der renomierten Zeitschrift Nature.

Darin wird v.a. die ökonomische Resistenz gegenüber Beobachtungen aus der Realität kritisiert. Zentrale Modellannahmen würden im Gegensatz zur Physik viel zu wenig hinterfragt. Wäre das geschehen, so wäre die Finanzkrise in dieser Form nicht so geschehen.

Mehr Infos: ORF-Science

Freitag, 30. Januar 2009

IWF: Rückkehr zu kräftigem Wachstum wird Jahre dauern

Eine aktuelle Studie es Internationalen Währungsfonds (IWF) revidiert die ohnedies nicht sonderlich guten jüngsten Konjunkturprognosen weiter nach unten: Laut IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn werde die Weltwirtschaft noch zwei bis drei Jahre nicht zu stabilem Wachstum zurückkehren. Er rechnet damit, dass die Prognosen für die USA und die europäischen Länder um mindestens einen halben oder ganzen Prozentpunkt gesenkt würden. Konkret prognostiziert der IWF 2009 Konjunktureinbrüche von - 1,5 % für die USA, - 2 % für die Euro-Zone und - 2,5 % für Japan. Schwellenländer müssten mit einem sehr viel langsameren Wachstum rechnen. Die gesamte Weltökonomie werde somit nur um 0,5 % wachsen - die niedrigste Rate in den letzten 60 Jahren. Eine Erholung könne nicht vor 2010 beginnen.

Wenn die Finanz- und Wirtschaftskrise wie zu erwarten anhalte, werde der IWF in sechs Monaten weitere Gelder zur Unterstützung von in Schwierigkeiten geratenen Ländern benötigen, so Strauss-Kahn. Bisher stellte der IWF Ländern wie Ungarn, Belarus, Island, Pakistan und der Ukraine, die massiv durch die Krise betroffen wurden, 47,9 Milliarden US-$ an Krediten zur Verfügung.

Donnerstag, 29. Januar 2009

Missbrauchen Banken und Industrie die Hilfskredite der Bundesregierung?

Nationalratsabgeordneter und stv. Bau-Holz-Gewerkschaftsvorsitzender Josef Muchitsch stellt in einer aktuellen Presseaussendung die berechtigte Frage, ob das von der Bundesregierung verabschiedete Bankenhilfspaket und Konjunkturprogramm auch zielgerichtet umgesetzt wird.

Anstatt Unternehmen zielorientiert und effizient Kredite anzubieten und so die Wirtschaft anzukurbeln, bremsen sich Banken bei Kreditvergaben an Wirtschaft und Private ein und wären andererseits bei Versteigerungsedikten aktiv wie nie zuvor.

Auch beim Instrument der Kurzarbeit ortet Muchitsch einen Missbrauch durch einzelne Konzerne: "Ich halte es für verwerflich, wenn mittels Kurzarbeit Arbeitszeiten reduziert, bei Löhnen und Lohnkosten gespart, aber parallel bereits an der Verlagerung von Produktionen in Billiglohnländern 'gebastelt' wird."

Montag, 26. Januar 2009

Sinkende Kaufkraft 2009 - auch 2008 kein Zuwachs

Die Marktforscher von RegioData Research erwartet für heuer aufgrund der Wirtschaftskrise "leichte Verluste" bei der heimischen Kaufkraft. Bereits 2008 hatte die Teuerung die Einkommenszuwächse zum Großteil weggefressen, sodass sich der finanzielle Lebensstandard der ArbeitnehmerInnen in Österreich nicht verbessert hat. Generell habe sich die Kaufkraft für die große Zahl an unselbständig Beschäftigten in den letzten Jahren kaum erhöht - die stärksten Zugewinne verzeichneten Beamte, Ärzte, Apotheker, Bauern und PenensionistInnen - allerdings von sehr unterschiedlichen Ausgangsniveaus.

Dienstag, 20. Januar 2009

Kurzarbeit drastisch gestiegen

Die Zahl der Kurzarbeitsverträge ist in Österreich zu Beginn des Jahres krisenbedingt rasant angestiegen. Rund 15.200 Menschen werden im Laufe des Jänners kurzarbeiten, im Dezember waren es noch 8.900. Ein Jahr zuvor waren es gerade einmal 200.

Am stärksten ist davon die Autozulieferindustrie betroffen. Alleine am General-Motors Werk Wien-Aspern müssen 1.540 MitarbeiterInnen kurzarbeiten.

Samstag, 3. Januar 2009

Krisenlösung? Frag' doch die Sterne!

Sloweniens Beitritt zum Euro wurde mancherorten zum Anlass genommen, um die Krisenrobustheit der europäischen Gemeinschaftswährung zu betonen. Unter Verweis auf den finanz- und währungspolitischen Zusammenbruch in Ungarn und fallende Kurse von Dollar und Pfund wird verlautbart: Länder, die keinen Euro haben, zahlen drauf; Euroländer profitieren.

Im Fall von Slowenien, das sich aufgrund schwindelerregender Produktivitätsgewinne durchaus eine Hartwährung wie den Euro leisten kann, ohne dadurch die eigenen Exporte zu gefährden und dessen Kapitalmarkt stark von ausländischen Investitionen abhängig ist, mag das sogar stimmen. Daraus aber eine allgemeine Regel zu machen ist aber zumindest mutig. Zwar sind Mut und Innovation in einer Krise sicher wünschenswerte Tugenden, doch werfen wir einmal einen Blick auf die Fakten:

Im Ende November 2008 veröffentlichten Economic Outlook prognostiziert die OECD für die Schweiz (bekanntlich weder Euro-, noch EU-Mitglied) für 2009 eine sinkende Wirtschaftsleistung von - 0.2 %. Gegenüber der Prognose für Österreich (- 0.1 %) ist das ein vernachlässigbarer Unterschied, v.a. wenn man bedenkt, dass die Prognose für Österreich die viertbeste innerhalb der EU-15 ist und die Wirtschaft der Eidgenossen 2010 (+ 1.6 %) um 0.4 % stärker wachsen wird als jene in Österreich (+ 1.2 %).

Noch klarer wird die Angelegenheit, wenn man sich eine andere kleine Volkswirtschaft in Europa ansieht, die weder EU- noch Euromitglied ist: Norwegens Wirtschaft wird 2009 um 1.3 % wachsen, 2010 gar um 1.6 %, nachdem die Wachstumsrate bereits 2008 (+ 2.7 %) weit über dem EU-15-Niveau war.

Eine einfache Recherche, für die nichtmal ein Maturaabschluss nötig wäre, straft also die Mainstreammeinung der gelehrten Ökonomieprofessoren Lügen - der Euro löst keine Probleme!
Gerade für eine kleine Volkswirtschaft ist flexible Geldpolitik heute nötiger denn je - und für eine solche ist Wien eben näher an Österreich, Oslo näher an Norwegen, als es Frankfurt ist.

Auf der Spielwiese der österreichischen Kapital(überschuss)exporte, Ungarn, mag die eigene Währung(spolitik) bei gleichzeitiger Abhängigkeit von internationalen Kapitalströmen tatsächlich negative Effekte gehabt haben. Die heimischen Wirtschaftsdoktoren sollten Österreichs Ökonomie aber eher mit westeuropäischen Volkswirtschaften denn mit deren eigener Sandkiste vergleichen. Dass etwa hierzulande die (marktbasierte) Beschäftigungsquote auch 2009 höher ist als im (viel subsistenzwirtschaftlich geprägteren) Moldawien, mag ein sachlich richtiger Vergleich sein und heimischen Politikern und Wirtschaftsweisen Grund zur Freude geben. Bloß löst das die Probleme von 300.000 Erwerbsarbeitslosen hierzulande nicht!

Freitag, 2. Januar 2009

Mythos Finanzmarktkrise

Günther Sandleben

Die gegenwärtige Krise ist die schwerste seit der Weltwirtschaftskrise von 1929/32 – ihr Ende ist nicht absehbar. Aber sie wird erstaunlich harmlos interpretiert, als Finanzkrise, die nun auf die Realwirtschaft überspringt. Diese Interpretation ist Konsens, im bürgerlichen Lager, aber auch bei einem Großteil der „Linken“.

1. Gemeinsamkeiten in der Interpretation der gegenwärtigen Krise

Hier einige Beispiele für diesen Konsens:

Deutsche Bundesbank: [1] „Wir erleben die schwerste Finanzkrise seit Jahrzehnten. (…) Inzwischen zeigen sich die Auswirkungen der Finanzkrise immer deutlicher auch im realen Sektor.”

Jahresgutachten der „Fünf Weisen”: [2] „Die von der Finanzkrise ausgehenden Schockwellen haben die deutsche Wirtschaft voll erfasst. (…) Bei so gravierenden Schocks im Finanzsystem ist es unvermeidlich, dass auch die Realwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird. … Und schon gar nicht geht es darum vor dem Hintergrund der Finanzkrise die marktwirtschaftliche Ordnung als solche in Frage zu stellen.”

Erklärung des G-20-Treffens in Washington vom November 2008: „Politiker und Überwachungsinstanzen in einigen entwickelten Ländern haben die Risiken nicht richtig eingeschätzt, die in den Finanzmärkten entstanden sind”. Kernpunkt des beschlossenen Maßnahmenpakets ist das Bekenntnis zu einer Regulierung und Überwachung aller Finanzmärkte mit ihren Produkten und Akteuren. Darüber hinaus empfehlen die G-20-Staaten, strengere Regeln für Ratingagenturen, Hedge-Fonds und Banken zu beschließen.

Jörg Huffschmid, Politische Ökonomie der Finanzmärkte [3] „Die vordringlichen Aufgaben einer mittelfristigen Reform der Finanzmärkte bestehen darin, durch ihre vorbeugende Stabilisierung den Ausbruch weiterer Finanzkrisen zu verhindern und darüber hinaus die Unterwerfung der Gesellschaft unter die ‚Herrschaft der Finanzmärkte’ zu beenden, hinter der nicht nur große Finanzkonzerne, sondern ein ganzes Projekt gesellschaftlicher Gegenreform steht. Diese Reform soll den Finanzsektor wieder auf seine wesentliche Aufgabe der externen Finanzierung von Investition und Produktion sowie langfristiger privater Vermögensbildung zurückführen, für die er unentbehrlich ist.”

Joachim Bischoff / Richard Detje [4]…„das Finanzsytem (hat sich) von dem realen Verwertungsprozess des Kapitals entkoppelt…Es kann nicht mehr in Abrede gestellt werden, dass der entfesselte Kapitalismus sich durch die eigene Logik diskreditiert hat. Die Tugenden des verantwortlichen Kaufmann wurden kleingeschrieben, Gier, Überheblichkeit und gesellschaftliche wie nationale Bindungslosigkeit machten das Rennen…Die Dominanz der Finanzmärkte über die Realökonomie muss aufgehoben werden.”

Verdi [5], Finanzkapitalismus„Finanzmärkte und Realwirtschaft laufen auseinander, bis die reale Entwicklung die Finanzmärkte wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. In dem Maße, wie Finanzinvestoren die Märkte dominieren, drehen sie das Anlagen- und Spekulationskarussell immer schneller. Sie können jederzeit in ein Geschäft oder Unternehmen ein und wieder aussteigen - „Exit-Option” - und sich ein anderes Objekt ihrer Begierde suchen. Ein Autohersteller oder eine Softwareunternehmerin können das nicht. Sie sind fest mit ihrem Unternehmen verbunden. … Deshalb muss der finanzmarktgetriebene Kapitalismus ausgebremst werden. Mehr Regulierung und Kontrolle der Finanzmärkte ist notwendig.”

Attac-Erklärung: Das Casino schließen [6] „Die Schockwellen der Finanzkrise haben jetzt die Realwirtschaft erreicht. … Finanzmärkte bilden das Zentrum und die treibende Kraft der neoliberalen Globalisierung. Dies führte dazu, dass der Finanzsektor Dominanz über die übrige Wirtschaft erlangte. … Während früher die Finanzmärkte eine Nachgeordnete und Dienstleistungsrolle gegenüber der Realwirtschaft spielten, hat sich diese Beziehung jetzt umgekehrt. Der Zugriff von „Finanzinteressen” auf die Realwirtschaft erweiterte sich enorm, indem alle wirtschaftlichen Aktivitäten an den Maximalprofiten auf den Finanzmärkten gemessen wurden. … Die Grundorientierung für substantielle Veränderungen muss darauf orientieren die Dominanz der Finanzmärkte über die Realwirtschaft zu brechen.”

Ulrich Schäfer, Wirtschaftschef der Süddeutschen Zeitung [7] …Die größte Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts hat ihren Ursprung im Herzen des Kapitalismus - an den Finanzmärkten.”

Priester Reinhart Marx [8]„Wir erleben seit den neunziger Jahren eine gewisse Abkoppelung der Finanzmärkte von den realwirtschaftlichen Bezügen, die einhergeht mit der politisch gewollten Deregulierung der Finanzmärkte. … So haben wir eine Erfahrung sicher gemacht: dass die Marktwirtschaft besser und tendenziell gerechter ist und dadurch politisch und ökonomisch einem Dirigismus und Kollektivismus vorzuziehen ist.”

All diese Positionen - ob links oder normal bürgerlich - haben vier Gemeinsamkeiten: [9]

* Trennung der Ökonomie in eine Finanzökonomie und in eine Realökonomie (Zwei-Welten-These)
* Finanzökonomie dominiert die Realökonomie (Hegemonie-These)
* Die Finanzökonomie ist wegen unzureichender Regulierungen instabil. Die Realökonomie ist weitgehend stabil. Die Realökonomie wird durch die Krise der Finanzökonomie angesteckt. (Krisen-Mythos)
* Krise lässt sich managen durch fiskalpolitische, geldpolitische und regulatorische Interventionen. (Machbarkeits- und Stabilitätsthese)

2. Kritik der Zwei-Welten-These

Die Vorstellung: Hier Realökonomie dort Finanzökonomie, hier die produzierten Güter, dort das Geld samt der Finanzmärkte, ist eine gedankenlose Absurdität. Es werden Waren produziert. Die Ware hat nicht nur Gebrauchswert, sie hat auch einen Tauschwert, einen Preis nämlich. Der Zusammenhang zum Geld ist von vornherein da.

Marx hat diesen Zusammenhang gleich im ersten Kapitel des Kapitals nachgewiesen. Marx sagt: Hinter dem Tauschwert steht der Wert, hinter dem Wert steht ein historisch spezifischer gesellschaftlicher Charakter der Arbeit. Wäre die Arbeit unmittelbar gesellschaftlich, dann gäbe es keinen Wert. Es gäbe auch kein Geld. Eine Gesellschaft assoziierter Produzenten kennt daher weder Ware noch Geld. Im Kommunismus werden Produkte, keine Waren produziert.

Zurück zur Ware: Der in der Ware eingeschlossene innere Widerspruch von Gebrauchswert und Tauschwert stellt sich dar als äußerer Widerspruch von Ware und Geld. Es gibt also keine getrennte Welten: Hier die Gebrauchswerte, dort das Geld. Das Geld ist der so genannten Realökonomie inhärent. [10]

Der Mythos von den zwei Welten wird genährt durch den Zins. Der Zins ist der Preis für den auf Zeit fortgegebenen Kredit. Der Zins scheint eine Eigenschaft des verliehenen Kapitals selbst zu sein. Das Zeugen von Zins scheint dem zinstragenden Kapital ebenso eigentümlich zu sein, wie das Wachsen der Bäume. Jeglicher Bezug zum gesellschaftlichen Reproduktionsprozess, zur Wertschöpfung, die in der Produktion stattfindet, ist in der Form des Zinses ausgelöscht. Diese Form trägt, wie Marx herausarbeitet, „keine Narben seiner Entstehung mehr. Das gesellschaftliche Verhältnis ist vollendet als Verhältnis eines Dings, des Geldes zu sich selbst.” [11] Marx nennt das zinstragende Kapital wegen des Fetischs, den es produziert, „die Mutter aller verrückten Formen”. [12]

Das Mysterium des Zinseszinses verleitet zu manch fabelhaften Einfällen. Marx zitiert einen Engländer namens Richard Price, der fasziniert vom Zinseszins die Gemüter im ausgehenden 18. Jahrhundert damit beruhigte, der Staat könne gelassen gigantische Schuldentürme aufbauen, denn selbst kleinste Vermögen würden auf längere Sicht kosmische Größenordnungen erreichen.
„1 sh., ausgelegt bei der Geburt unsers Erlösers zu 6 % Zinseszinsen, würde angewachsen sein zu einer größern Summe als das ganze Sonnensystem einbegreifen könnte, wenn in eine Kugel verwandelt von einem Durchmesser gleich dem der Bahn des Saturn.” [13]

Wir müssen keinesfalls in das 19. Jahrhundert zurückgehen. Die Vorstellung von der Verselbständigung des Zinses-Zins-Prozesses begegnet uns auch in der Gegenwart. Nehmen wir die These von der „stagnationsgetriebenen Finanzakkumulation”, vertreten durch Huffschmid. Das Kapital würde wegen fehlender Rendite die Produktionssphäre verlassen, um sich zu höherer Rendite auf den Finanzmärkten zu verwerten. [14] Dahinter steht die Vorstellung, dass die Kapitalverwertung an den Finanzmärkten ein Eigenleben führt, das nicht positiv an die Verwertung des fungierenden Kapitals gebunden ist.

Oder nehmen wir Margrit Kennedy, die den von Marx zitierten Engländer Richard Price wie folgt paraphrasiert:

„Hätte Joseph zur Zeit von Christi Geburt einen Pfennig investiert und wäre dieser von einer Bank mit durchschnittlich 5 Prozent pro Jahr verzinst worden, wäre dieser Pfennig im Jahr 2000 zum damals gültigen Goldpreis etwa 500 Milliarden Kugeln aus Gold vom Gewicht dieser Erde wert gewesen - zum Goldpreis in diesem Jahr. Das zeigt, in Form eines realistischen Symbols: „Geld frisst Welt”. [15] Geblendet vom Zinseszins schreibt sie: „Tatsächlich verhält sich der Zins wie ein Krebs in unserer sozialen Struktur”. Sie sieht im „Zinsmechanismus eine Hauptursache für den pathologischen Wachstumszwang der Wirtschaft mit allen bekannten Folgen der Umweltzerstörung.” [16] Der Zins knechtet also die Wirtschaft!

3. Kritik der Hegemonie-These

Damit bin ich beim zweiten Punkt der Kritik: Der Zins knechtet die Wirtschaft heißt, dass die Finanzökonomie die Realökonomie beherrscht. Verantwortlich für diese Hegemonie soll ein Zinsmechanismus sein, eine Selbstvermehrung des zinstragenden Kapitals. Das zinstragende Kapital erscheint als eine eigenständige Macht, die ihren eigenen Vermehrungsmechanismus der Wirtschaft als Wachstumszwang aufdrücken würde. Zins und zinstragendes Kapital werden nicht hinterfragt, die Voraussetzungen dafür bleiben im Dunkeln. Die Hegemonie-These fällt auf den Zinsfetisch herein.

Im Gegensatz dazu analysierte Marx den Zins und dessen Voraussetzungen. Der von ihm aufgedeckte innere Zusammenhang von Zins und Profit wird ignoriert. Der Zins ist, wie Marx offen gelegt hat, lediglich ein Teil des produzierten Profits. Und der Profit ist Resultat der Ausbeutung der Lohnarbeiter im Produktionsprozess. Die Ausbeutung, also die Mehrwertproduktion, geschieht ganz unabhängig davon, ob eigenes oder geliehenes Kapital verwendet wird. Das Kreditverhältnis selbst, also das Verhältnis von Leihkapitalisten (z. B. Bank) und fungierender Unternehmung, spielt dort gar keine Rolle. Nicht der Zins knechtet die Wirtschaft; weil die Wirtschaft eine kapitalistische ist, existiert der Verwertungszwang, der sich auch im Zins zeigt. Das zinstragende Kapital ist unter die kapitalistische Produktionsweise subsumiert. Es ist die wirkliche Akkumulation, die den Zinseszins möglich macht, und es ist keineswegs umgekehrt, dass die Zinsen einen kapitalistischen Akkumulationsprozess erzwingen würden.

Die Hegemonie-These speist sich noch durch eine weitere Vorstellung. Marx sagte ja, dass das zinstragende Kapital die Mutter aller verrückten Formen sei. Zu diesen Formen gehören die Wertpapiere. Dazu zählen Aktien und Anleihen. In der Aktie findet das Kapital eine zweite Gestalt, die neben dem wirklichen Kapital existiert. Gleiches gilt für die Unternehmensanleihe. Demgegenüber liegt den Staatsanleihen kein Kapital zugrunde. Hier erscheint eine Staatsschuld positiv als Kapital. Gleiches gilt für verbriefte Konsumentenkredite. Die zirkulierenden Schuldtitel scheinen Kapital zu sein, obgleich der verliehene Wert durch Verbrauch der dafür gekauften Konsumgüter bereits untergegangen sein mag.

Solche Wertpapiere gehören nach Marx zum „fiktiven Kapital”. Sie entstehen durch die Bedürfnisse des Reproduktionsprozesses bzw. durch das Bedürfnis des Staates. Sie werden an den Finanzmärkten gehandelt. Sie bilden den Kern der Finanzmärkte und die Grundlage für weitere Formen (u. a. Derivate), auf die ich hier nicht eingehen kann. Die These vom „finanzmarktgetriebenen Kapitalismus” oder von der „Dominanz der Finanzmärkte” hat genau diese Finanzmärkte im Blick. Sie besagt, dass die Finanzmärkte einen „disziplinierenden Druck” auf die Wirtschaft ausüben. Oder wenn es nicht die Finanzmärkte selbst sind, dann sind es die Eigentümer des fiktiven Kapitals, die angeblich die Unternehmen zu etwas zwingen, was sie gar nicht wollen. „Viele führende Unternehmen”, schreibt z. B. Huffschmid, „sind den Ansprüchen ihrer Aktionäre, der Investment- und Pensionsfonds ausgesetzt, die verlangen, dass ‚ihre’ Unternehmen Quartal für Quartal steigende Gewinne ausweisen”. [17] An anderer Stelle spricht er von der „Unterwerfung der Gesellschaft unter die ‚Herrschaft der Finanzmärkte’”. [18] Aber welcher Druck, welche Art Herrschaft kann durch den Besitz der Wertpapiere überhaupt ausgeübt werden?

Betrachten wir kurz den Charakter der Wertpapiere: Der Besitzer einer Industrie-Anleihe steht jenseits des fungierenden Industrie-Kapitals. Er hat sein Geld gegen Zins und Rückzahlungsversprechen als Kapital fortgegeben und verfügt lediglich über ein Wertpapier, das seine Ansprüche dokumentiert. Als Eigentümer des Wertpapiers steht er jenseits des wirklichen Produktionsprozesses; er verhält sich passiv dazu. Es ist unmöglich, dass er mittels seiner Industrie-Anleihe irgendeine Herrschaft über die wirkliche Produktion ausübt.
Besitzt er eine Aktie, dann verhält es sich im Großen und Ganzen ähnlich. Lediglich als Hauptaktionär hat er Einfluss auf die Geschäftsführung. Aber auch dann steht er außerhalb des operativen Geschäfts. Wie auch immer die Geschäftsführung formal durch die Gremien der Aktiengesellschaft bestellt wird, sie ist in jedem Fall bloßer Funktionär des Kapitals, das sie verwaltet. Würde sie ihre Funktion vernachlässigen, dann würde sie schon durch die Konkurrenz abgestraft, ohne dass es des Mehrheitsaktionärs bedürfte.

Marx hat diesen Zwang der Konkurrenz folgendermaßen formuliert:

„Die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitalistischen Konkurrenz dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches Zwangsgesetz geltend.” [19]
Und diese Zwangsgesetze der Konkurrenz kommen „als treibende Motive dem individuellen Kapitalisten zum Bewusstsein”. [20]

Als kapitalistischer Funktionär ist die Geschäftsführung nur subjektiver Träger der Kapitalbewegung. Was der Mehrheitsaktionär lediglich kann, ist darauf zu achten, dass die Geschäftsführung diesen Job gut macht, das heißt den Erfordernissen der Konkurrenz gerecht wird. Und es ist diese Konkurrenz, welche die immanenten Gesetze des Kapitals vollzieht. Der Mehrheitsaktionär kann also nicht mehr sein als ein Wächter, der über eine Sache wacht, ohne sie selbst in die Welt gesetzt zu haben. Er trägt also nicht den Verwertungszwang in die Ökonomie, selbst wenn er davon profitiert.

Der Eigentümer von Staatsanleihen verhält sich in dieser Eigenschaft nicht nur passiv gegenüber dem wirklichen Produktionsprozess, er besitzt einen Schuldtitel, der in keinem direkten Zusammenhang zum Reproduktionsprozess steht. Ähnliches gilt für Titel, die auf Konsumentenkredite bezogen sind (verbriefte Kreditkarten-Schulden, Autokredite, Hau-Immobilien-Kredite).

Man sieht also, dass die Eigentümer der Wertpapiere keine Macht über den Reproduktionsprozess ausüben. Sie sind nicht die Beherrscher der Welt. Auch die Finanzmärkte sind es nicht. Steigen oder fallen die Wertpapierkurse, dann ändert sich nichts an dem Schuldverhältnis, das im Wertpapier ausgedrückt wird. Steigen die Aktienkurse, dann gewinnen die Eigentümer von Aktien, aber sie üben dadurch keine größere Macht über die Aktiengesellschaft aus. Das Steigen der Aktienkurse hat wiederum Voraussetzungen, die letztendlich durch den wirklichen Reproduktionsprozess gesetzt werden.

4. Kritik der finanzmarktbezogenen Krisentheorie

„Die Oberflächlichkeit der politischen Ökonomie zeigt sich u. a. darin, dass sie die Expansion und Kontraktion des Kredits, das bloße Symptom der Wechselperioden des industriellen Zyklus, zu deren Ursache macht.” [21]

Ebenso verhält es sich in der finanzmarktbezogenen Krisendeutung. Die starke Expansion im Bereich der Immobilienkredite und anderer Kredite werden zur Ursache der Krise gemacht. Warum kommt es zu dieser oberflächlichen Krisendeutung? Erstens ist die Finanzkrise eine besonders auffällige Erscheinung, also leicht zu thematisieren. Zweitens ist eine oberflächliche Kritik erforderlich, um das kapitalistische System als Ganzes nicht auf die Anklagebank zu setzen. Und drittens benötigt die Wirtschaftspolitik als Legitimationsgrundlage eine plausible Begründung, die sich den Anschein von Wissenschaft gibt, um dann in diesem Experten-Gewand als allgemeine Autorität anerkannt zu werden.

Folgende Einwände möchte ich gegen die finanzmarktbezogene Interpretation der heutigen Krise vorbringen:

* Die finanzmarktbezogene Krisendeutung stellt die Einmaligkeit der Krise heraus. Eine solche Vorstellung ist nicht plausibel, da Krisen regelmäßig in der Geschichte des Kapitalismus auftreten. Diese Regelmäßigkeit legt nahe, die Ursachen der Krise im Kapitalismus selbst zu suchen.
* Die finanzmarktbezogene Krisendeutung enthält die Vorstellung von der Realökonomie. Produkte kommen dort zur Welt ohne Tauschwert. Wie gezeigt, ist dies eine falsche Vorstellung. In einer solch fiktiven ökonomischen Welt, die aus einer Anhäufung von Produkten besteht, kann es natürlich auch keine Widersprüche und Gegensätze geben.
* Die bürgerliche Volkswirtschaftslehre verteidigt hartnäckig das Dogma, wonach jedes Angebot automatisch seine Nachfrage erzeugt. Oder, wie ein Franzose Namens Say formulierte: „Produkte werden stets gekauft durch Produkte oder durch Dienste; Geld ist nur das Medium, wodurch der Austausch bewirkt wird”. Marx hat das „Saysche Gekohl” bereits kritisiert: „Hier wird also erstens Ware, in der der Gegensatz von Tauschwert und Gebrauchswert existiert, in bloßes Produkt (Gebrauchswert) und daher der Austausch von Waren in bloßen Tauschhandel … verwandelt. Es wird nicht nur hinter die kapitalistische Produktion, sondern sogar hinter die bloße Warenproduktion zurückgegangen.” [22] Im Gegensatz zu Say sah Marx im Warentausch bereits die allgemeine Möglichkeit der Krise. Wenn aber jedes Angebot seine Nachfrage schafft, dann sind Überproduktionskrisen unmöglich. Und wenn diese dennoch auftreten, so müssen externe Gründe, wie äußere Erschütterungen, herangezogen werden. Diesmal sollen es die Finanzmärkte sein, davor war es die Internet-Blase, davor schob man die Krise auf die schwierige Übernahme der neuen Bundesländer und 1974/75 bzw. 1980/1982 sollen Ölpreisschocks die Krisen verursacht haben [23].
* Die Reproduktion des Kapitals samt der darin enthaltenen Momente der Krise werden nicht thematisiert. Im Unterschied zur Marxschen Krisentheorie spielt beispielsweise der Umschlag des fixen Kapitals als materielle Grundlage für die Periodizität der Krisen keine Rolle.
* Die „Kreditblasen” werden nicht aus dem Akkumulationsprozess heraus erklärt. Äußere Umstände werden zu deren Deutung herangezogen: Etwa ein Fehlverhalten in der Zinspolitik, Fehler in der Kreditvergabepolitik der Banken, ein Versagen von Kontrollorganen, die persönliche Gier von Bankern, Vermittlern, Versicherer etc.
* Die Kreditexpansion, so meine These, ist Resultat erstens des vorangegangenen konjunkturellen Aufschwungs und zweitens Resultat einer längerfristigen Expansionswelle im Bereich der Akkumulation. Diese setzte in den 80er Jahren ein. Es war ein kreditfinanzierter Nachfragesog, der zur Expansion führte. Die längerfristige Sturm- und Drangperiode des Kapitals wurde getragen von neuen geografischen Anlagesphären des Kapitals (China, Mittelosteuropa, Industriealisierungsversuche in den Golfstaaten) und durch neue bzw. technologisch stark veränderte Wirtschaftszweige (Computer-, Informations- und Kommunikationstechnologie, der Energieerzeugung (solare Energie, Windenergie), Biotechnologie). Größere Weltmarktkrisen hat es in dieser Phase tendenziell höherer Nachfrage nicht gegeben.
* Die Großprojekte sind mittlerweile weitgehend abgeschlossen, der Nachfragesog lässt nach. Das in den neuen Produktionsanlagen enthaltene fixe Kapital wird nun in Höhe der Abschreibungen ein Bestandteil des Warenangebots, ohne gleichzeitig Bestandteil der Nachfrage zu sein. Vielmehr ging die Nachfrage nach den Produktionsanlagen dem jetzt auf den Markt tretenden Angebot voraus. Der Markt bleibt hinter der steigenden Produktion zurück, mit der Folge, dass die Sturm- und Drangperioden des Kapitals in eine länger anhaltende Periode verlangsamter und instabiler Akkumulation übergehen.
* Die Krise besteht in einer Kombination aus konjunkturell-zyklischer Krise und eines Umschlags im längerfristigen Akkumulationstempo. Sie wird länger anhalten. Nach der Bankenpleite kommt bald die Pleite in der Industrie, der eine Staatspleite folgen könnte. [24]

5. Kritik des Machbarkeits- und Stabilitätsmythos

„Wenn es, wie in dieser Prognose unterstellt, in den nächsten Monaten gelingt, den Bankensektor zu stabilisieren, dürfte sich ab Mitte 2009 die Weltkonjunktur allmählich erholen.” (Herbstgutachten) Der Kapitalismus, so wird gesagt, ist stabil; und wenn er dennoch durch äußere Umstände erschüttert wird, dann besitzt der Staat genügend Möglichkeiten, die Stabilität rasch wieder herzustellen. Daraus folgt: Die heutige Gesellschaft, also Staat und Wirtschaft zusammen genommen, ist eine stabile Angelegenheit; eine Alternative dazu gibt es nicht und braucht es auch nicht zu geben. Das ist der Machbarkeits- und Stabilitätsmythos der bürgerlichen Welt.

Schon die regelmäßige Wiederholung der Krisen steht diesem Mythos entgegen. Würde der Staat tatsächlich solche Steuerungskapazitäten besitzen, warum hat er dann nicht schon längst die Krisen ausgemerzt? Offenbar gibt es Schranken seiner Handlungsmöglichkeiten.
Regierungen und Notenbanken übernehmen zurzeit ein Großteil der Risiken, die in der privaten Wirtschaft entstanden sind. Damit sind aber die Risiken nicht aus der Welt geschafft. Sie bleiben im Gesamtsystem, nur dass der Staat die Risiken zu seinen eigenen macht. Die staatlich abgewendeten Pleiten von Privatunternehmen bilden Momente seiner eigenen künftigen Pleite. Durch die Übernahme von „toxischen Wertpapieren” gelangt das Gift zur Notenbank. Diese wird mehr und mehr zu einer „Bad Bank”. In dem Maße, wie sie ihr Vertrauen einbüßt, vernichtet sie das Vertrauen in die Währung, die von ihr selbst herausgegeben wird. Eine Währungsreform ist möglich.

Auf der anderen Seite büßen die Staaten Kreditwürdigkeit durch die sprunghaft wachsende Neuverschuldung und durch die krisenbedingte Schwächung ihrer Steuerkraft ein. Für sie besteht die Gefahr, dass sie kein frisches Geld zur Begleichung ihres Schuldendienstes erhalten. Bankrotte selbst größerer Staaten sind möglich.

6. Fazit

Die Krise ist keine bloße Finanzkrise sondern eine Krise des gesamten kapitalistischen Systems. Es ist heute wie zu Marxens Zeiten: „Die Weltmarktkrisen müssen als die reale Zusammenfassung und gewaltsame Ausgleichung aller Widersprüche der bürgerlichen Ökonomie gefasst werden.” [25] Die gängige Interpretation der Krise als Finanzmarktkrise macht eine Erscheinungsweise der Krise zur Ursache. Sie ist oberflächlich. Sie beschönigt den Kapitalismus. Sie ignoriert die Widersprüche und Gegensätze der kapitalistischen Produktion. Sie verfabelt die wirkliche Reproduktion in eine Realökonomie, die krisenfrei sein soll und der dann die Finanzmärkte als Quelle der Krise äußerlich gegenüberstehen. Sie produziert die Illusion, als ließen sich durch bloße Manipulationen der Finanzmärkte und durch staatliche Interventionen die Krisen aus der Welt räumen. Jedoch könnte das staatliche Krisenmanagement die Staaten selbst in den finanziellen Ruin treiben. Indem Notenbanken und die Regierungen durch massive Eingriffe Pleiten verhindern, machen sie die staatlich abgewendeten Pleiten von Privatunternehmen zu Momenten ihrer eigenen Pleite.
Der Kapitalismus durchläuft eine Phase schwerwiegender Erschütterungen. In dieser Krise werden Produktivkräfte massenhaft vernichtet. Ein Zusammenbruch des kapitalistischen Systems ist möglich. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse müssen verändert werden. Der Sozialismus als Alternative steht auf der Tagesordnung.

Anmerkungen:

[1] Vortrag von Prof. Dr. Hermann Remsperger, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank, vom 10.12.2008
[2] Veröffentlicht am 12.11.2008.http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/gutacht/ga-content.php?gaid=53)
[3] Jörg Huffschmid, Politische Ökonomie der Finanzmärkte, Hamburg 2002, S. 201f
[4] Joachim Bischoff / Richard Detje: Ende des Wallstreet-Dollar-Regimes, in: Sozialismus 10/2008
[5] Ver.di: Finanzkapitalismus. Geldgier in Reinkultur! Oktober 2007
[6] Attac-Erklärung: Die Zeit ist reif: Das Casino schließen, September 2008
[7] Ulrich Schäfer, Der Crash des Kapitalismus. Warum die entfesselte Marktwirtschaft scheiterte. Frankfurt/New York 2008, S. 13
[8] Interview in der FAZ vom 23.12.2008
[9] Der klassische Begriff vom Finanzkapital, der von Rudolf Hilferding wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt und dann über Lenin und Bucharin in die Imperialismusdiskussion gebracht worden war, enthält bereits weitgehend die ersten drei der hier genannten Gemeinsamkeiten. Vergleiche dazu Guenther Sandleben, Nationalökonomie & Staat. Zur Kritik der Theorie des Finanzkapitals, Hamburg 2003
[10] Eine Zwei-Welten-Theorie vertrat bereits die Klassik, wenn sie das Gesetz der Absatzwege (Saysches Theorem) oder die Quantitätstheorie des Geldes formulierte.
[11] Marx, MEW 25, S. 405
[12] Marx, MEW 25, S. 483
[13] Marx, MEW 25, S. 408
[14] „Die Hauptthese dieses Kapitels ist, dass die treibende Kraft der Finanzmärkte der Übergang von der Investitionsfinanzierung zum Finanzinvestment ist”. (Huffschmid (2002), S. 38) „Die Ablösung der Investionsfinanzierung durch das Finanzinvestment als treibende Kraft bei der Entwicklung der Finanzmärkte führt zu einer Entkoppelung der Zeithorizonte zwischen stofflichen Akkumulations- und Produktikonsprozesse auf der einen und Kapitgalverwertung auf der anderen Seite.” (Huffschmid (2002), S. 22f) Hinter der These von der „stagnationsgetriebenen Finanzakkumulation” steht die Vorstellung, dass die Kapitalverwertung an den Finanzmärkten ein Eigenleben führt, das nicht positiv an die Verwertung des fungierenden Kapitals gebunden ist. Auch wird nicht gesehen, dass zwar Einzelkapitale von einem Sektor in den nächsten wandern können, dass dies jedoch nicht das Gesamtkapital kann.[15] Margrit Kennedy, Geld regiert die Welt. Doch wer regiert das Geld? http://www.margritkennedy.de/pdf/ART_FNW_01_2008_GeldRegiertDieWelt.pdf
[16] Margrit Kennedy, Geld ohne Zinsen und Inflation. Ein Tauschmittel, das jedem dient, 2006, S. 22 u. 27
[17] Huffschmid, a. a. O., S. 13
[18] Huffschmid, a. a. O., S. 201f
[19] Marx, MEW 23, S. 286
[20] Marx, MEW 23, S. 335
[21] Marx, MEW 23, S. 662
[22]Theorien, MEW 26.2., S. 501f
[23] Das Dogma von der Harmonie und Stabilität des Marktsektors kennt keine Funktionsmängel des marktwirtschaftlichen Systems, keine Widersprüche, die der Markt aus sich selbst heraus erzeugt und die dann zu Krisen führen. Die Krise wird als Fehlverhalten gedeutet: „Wenn es darum geht, Verantwortlichkeiten auszumachen, gehen Schuldzuweisungen in diesem Zusammenhang an die Geldpolitik, an die staatliche Aufsicht über das Finanzsystem, an die Rating-Agenturen und an andere Entscheidungsträger auf den Finanzmärkten. In den Vereinigten Staaten hat eine expansive Geldpolitik das Aufblähen einer Immobilienblase gefördert, und die Wirtschaftspolitik hat die Kreditwirtschaft ermuntert, im Interesse höherer Wohneigentumsquoten Hypothekendarlehen selbst an Personen mit unzureichender Bonität zu vergeben. So hat die Aufsicht Forderungen nach Deregulierungen mitunter leichtfertig nachgegeben.Auch Bankmanager sind nicht frei von einer Verantwortung. Sie haben eine der Grundregeln der Finanzmärkte, dass sehr hohe Renditen nur unter Inkaufnahme sehr hoher Risiken zu erzielen sind, zu wenig Beachtung geschenkt und sich zu sehr auf die Bewertungen der Rating-Agenturen verlassen. Sicherlich haben einige Vergütungssysteme das kurzfristig orientierte Handeln der Bankmanager unterstützt, wenn nicht sogar herausgefordert. Insoweit tragen die Aufsichtsräte eine Mitschuld.” (Jahresgutachten: 2008/09 “Die Finanzkrise meistern - Wachstumskräfte stärken”.
[24]Vergleiche Guenther Sandleben, Abschwung oder Absturz? Wir stehen vor einer schweren Weltwirtschaftskrise, in: Sozialismus 9/2008; derselbe: Die große Krise von 2008. Ursachen, staatliches Krisenmanagement, Folgen, in: http://www.proletarische-briefe.de/?p=113[25] Marx, MEW 26.2., S. 510

Aus: Kalaschnikow, 02.01.2009