Donnerstag, 13. November 2008

Neokorporativismus oder Postkorporativismus?

Die Frage, welche Alternativen sich zu Neoliberalismus, Imperialismus und Wirtschaftskrise derzeit eröffnen, wird auch hier in schärferer Form zu stellen sein. Ihre Beantwortung muss das Handeln politischer Akteurinnen massiv beeinflussen. Das gilt besonders für die derzeit bedeutendste Interessenvertretung jener Gruppe, die am massivsten von der Krise betroffen ist, gleichzeitig aber auch über die potentielle Macht verfügt, eine Alternative durchzusetzen - die Gewerkschaften.

Falls sich das derzeitige ("neoliberale") Akkumulationsmodell des Kapitalismus tatsächlich erschöpft hat und die Krise als Zeit des Umbruchs verstanden wird, könnte Gramsci's These der "passiven Revolution" an Bedeutung gewinnen. Dabei geht es um die Anpassung der ökonomischen und politischen Verhältnisse an die neuen, in der Krise zum Ausdruck gekommenen Herausforderungen, wobei es den Herrschenden gelingt, ihr System gegenüber möglichen Alternativen zu verteidigen. Diese Herrschaftssicherung geht dabei - im Sinne der Herstellung von Hegemonie - oft mit einer Einbindung der revoltierenden, "subalternen" Klassen einher. Dies wäre eine mögliche Voraussetzung für ein neokorporativistisches Modell, das vor allem für die sozialpartnerschaftlich geprägten, harmoniebedürftigen (und tonangebenden) Teile der österreichischen Gewerkschaftsführung verlockend erscheinen mag.

Es gibt aber auch eine andere Handlungsoption, in der die Wirtschaftskrise zu einem Ausmaß an Destabilisierung führt, aufgrund der das herrschende System tatsächlich in seiner Grundlage erschüttert werden könnte. Dies kann nicht durch einen "endogenen Verfall", sondern nur durch einen äußeren Stoß von extremer Heftigkeit im Verein mit einer glaubwürdigen Alternative geschehen, wie der französische Historiker Fernand Braudell 1986 in "Aufbruch zur Weltwirtschaft" festhielt.

In den letzten Jahren sind in vielen krisengeschüttelten Ländern (v.a. Lateinamerikas, aber auch Asiens) soziale Bewegungen entstanden, die versuch haben, sich wiederanzueignen, was den Menschen von Konzernen und Finanzinstitutionen - meist infolge einer Krise - genommen wurde. Die Landlosenbewegung Brasiliens ist ein Beispiel, die Fabrikbesetzungen in anderen lateinamerikanischen Ländern ein anderes. Wenn Konzerne in den nächsten Jahren auch hierzulande aus Profitlogik Standorte schließen und zigtausende Menschen arbeitslos machen, die Produktionskapazitäten aber noch vorhanden sind, während es den delogierten Arbeitnehmerinnen am Notwendigsten fehlt - wer will sie daran hindern, sich diese Produktionskapazitäten anzueignen (außer den Gewerkschaften)? Wenn den Belegschaften vor Ort keine anderen als diese drastischen Handlunsmaßnahmen mehr bleiben, wird irgendwann auch die Gewerkschaft nicht mehr still stehen können. Insofern lässt sich auch erahnen, wie eng verknüpft die Frage einer gesellschaftlichen Neuorientierung mit einer Neuorientierung des ÖGB verbunden ist.

Zur Frage Neokorporativismus oder Postkorporativismus sei an dieser Stelle Goethe konsultiert:

Gehorche meinem Winken,
nutze Deine jungen Tage,
Lerne zeitig klüger sein!
Auf des Glückes großer Wage
Steht die Zunge selten ein.
Du musst steigen oder sinken,
Du musst herrschen und gewinnen,
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboss oder Hammer sein.

Es gibt ein Leben nach der Sozialpartnerschaft!

Literaturtipp: Elmar Altvater, Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen, pp. 1 - 32

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