Dienstag, 24. März 2009

Die (doppelte) Tragik der Allmende - Teil III

In den bisherigen Teilen dieser kleinen Serie wurde anhand der Tragödie der Allmende darauf hingewiesen, dass das individuelle Streben nach Profit nicht zum Wohle aller führen muss, sondern gesellschaftlich hohe Kosten verursachen kann (Teil I). Ferner wurde aufgezeigt, dass solche Widersprüche zwischen Eigentumsverhältnissen und Produktivkräften Motor der inneren gesellschaftlichen Dynamik sind und es die ökonomische Gesellschaftsformation schafft, diese Widersprüche immer wieder für sich zu lösen (Teil II).

Im Zuge dieses "Lösungs"mechanismus (welcher den Widerspruch nicht löst, sondern ihn nur auf ein neues Niveau hebt), erweist sich die Frage des Eigentums als zentral - praktisch, wie im Falle der ursprünglichen Akkumulation gezeigt (siehe Teil II), aber auch theoretisch - denn aus dem Eigentum legitimiert sich die Aneignung.

Einer der größten modernen Apologeten dieses Privateigentums ist der Ökonom Ronald Coase, dessen 1960 formuliertes Theorem (unter gewissen Annahmen) besagt, dass es für die Verteilung der Ressourcen in der Gesamtwirtschaft letzlich gleich ist, wem ein bestimmtes Gut gehört (solange es jemandem gehört!), weil jede Eigentümerin nach der profitabelsten Nutzung dieses Guts strebt (Coase-Theorem), was ihm 1991 auch den Ökonomie-"Nobelpreis" einbrachte.

Praxisrelevant fragt man sich in diesem neoklassischen Theoriestrang, wieso der Bestand bestimmter Meeresfische gefährdet ist, während es keinen Mangel an Hühnchen gibt; und antwortet: Weil die Fische allen gehören, die Hühnchen aber Einzelnen. Wenn der gesamte Fischbestand der Erde Eigentum eines Weltdiktators wäre, so das Kalkül der Marktliberalen, würde dieser eine Überfischung verhindern, um auch künftig Bestände für den Verkauf zu besitzen. Zwar hat der Diktator Samoza am Largo de Nicaragua das Gegenteil bewiesen, doch hat die Idee dennoch praktischen Output gefunden: Etwa beim weltweiten Handel an Emissionsrechten.

Zugespitzt auf die heutige Situation kann man sich die Frage stellen: Sind unsere Finanzmärkte zu sehr in öffentlicher Hand und verursachen deshalb Ineffizienzen? Sollte man nicht die vermeintlich bestehende "Überregulation des Staates" auf den Finanzmärkten durch private Verfügungsrechte ersetzen? Könnte man dadurch nicht Externalitäten, die derzeit auf die gesamte Gesellschaft abgewälzt werden, internalisieren? Entstehen solche Ineffizienzen nicht nur deshalb, weil der Staat störend in die Selbstheilung des freien Marktes eingreift?

Gewiss: Eine solche Argumentation ist Humbug. Doch die Neoliberalen - die sich vorläufig in einer Krise befinden - haben uns auch schon blödere "Argumentationen" verkauft. Und spätestens wenn die ersten Lichtblicke am liberalen US-Arbeitsmarkt in greifbarer Ferne zu erkennen sind während das "überregulierte" Europa noch unter hoher Arbeitslosigkeit leidet, werden sie wieder die "Effizienz des Marktes" hochstilisieren und den Marsch zur Enteignung der Gesellschaft blasen.

Für den Kapitalismus mögen Momente epochemachend sein, in denen große Menschenmassen von ihren Subsistenzmitteln losgerissen werden (siehe Teil II). Auf seiner imperialistischen Stufe leben Menschen kaum mehr von Subsistenzmitteln. Dennoch kann es zu nachhaltigen Änderungen in der Stellung der Besitzenden zu den Produktionsmitteln, zu Eingriffen in die Eigentumsverhältnisse kommen.

Aus der historischen Betrachtung der Tragik der Allmende lässt sich folgern, dass es nicht nur einen systemüberwindenden, bzw. "anti-liberalistischen" ("etatistischen") Ausweg aus der gegenwärtigen Akkumulations- und Regulierungskrise des Kapitalismus gibt. Dies gilt umso mehr, da diese mit einer der größten Krisen der Linken und ArbeiterInnenbewegung zusammenfällt. Dass führende Vertreter letzterer auf eine Jahrhundertkrise des kapitalistischen Systems nicht mehr Antworten parat zu haben scheinen, als Kurzarbeit und Qualifizierungsmaßnahmen, spricht für sich.

Dennoch besteht Hoffnung. Galileo Galilei mag vor dem Inquisitionsgericht unter Androhung von Folter seine Aussagen widerrufen haben - doch hielt er an seinen Überzeugungen fest und veröffentlichte die Discorsi - letztlich setzte sich die kopernikanische Wende durch. Wie Bertolt Brecht in Szene 8 des Lebens des Galilei schreibt, setzt sich aber "nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein." Allerdings soll Brecht auch gesagt haben, dass sich immer nur soviel Vernunft durchsetze, wie zur Aufrechterhaltung bestehender Zustände nötig sei. Die institutionalisierte österreichische ArbeiterInnenbewegung mag für eine solche passive Revolution, die letztlich einer Systemrettung gleichkommt, besonders empfänglich sein. Auch Galilei's Intention war es ja nicht, die Kirche zu stürzen, sondern sie vor einem Irrtum zu bewahren. Dann droht jedoch, dass der Opener zu Galilei's Szene 4 für sich steht: "Das Alte sagt: So wie ich bin, bin ich seit je."

Es sei denn "Das Neue sagt: Bist du nicht gut, dann geh."

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