Sonntag, 22. März 2009

Die (doppelte) Tragik der Allmende - Teil II

Die im letzten Beitrag geschilderte Tragik der Allmende mag eine treffende Beschreibung für das Herdenverhalten auf den Finanzmärkten sein, wo Profitgier der Einzelnen nicht zum Wohle aller, sondern zu hohen Kosten für die Gesellschaft geführt haben. Naheliegend also z.B., dass Lucas Zeise & Co. ihren Blog Herdentrieb nannten, weil die Hirten die Richtung nicht kennen und herdenweise immer wieder in eine Richtung laufen und damit Instabilitäten verursachen.

Doch aus diesen instabilen und Krisenmomenten bereits Gedanken über ein Ende des Kapitalismus zu spinnen (z.B. Altvater, 2005: 20), ja es überhaupt nur als Kritik des kapitalistischen Systems per se zu verstehen, ist zunächst zumindest gewagt - darf doch die Anpassungsfähigkeit des Systems in seinen eigenen Krisenmomenten nicht unterschätzt werden.

Sehen wir uns zunächst einmal an, wie sich dieses kapitalistische System überhaupt historisch entwickelte, was natürlich ein langfristiger, widersprüchlicher Prozess war. Gemeinsam ist diesem Prozess aber, dass in ihm all jene Umwälzungen epochemachend sind, "die der sich bildenden Kapitalistenklasse als Hebel dienen; vor allem aber die Momente, worin große Menschenmassen plötzlich und gewaltsam von ihren Subsistenzmitteln losgerissen und als vogelfreie Proletarier auf den Arbeitsmarkt geschleudert werden", wie es Karl Marx (XXIII: 744) im Kapital erwähnt. Dabei hebt er die Expropriation, also Enteignung, des ländlichen Produzenten als "Grundlage des ganzen Prozesses" hervor, wobei explizit auf die private Aneignung von Staats-, Clan- und Gemeindeeigentum zu modernem Privateigentum eingegangen wird.

Was ist also aus unserer idyllischen Allmende geworden, diesem gemeinschaftlichen Ort individueller Interessenskumulation, als das auf seinem Boden herrschende Eigentumsverhältnis dem Fortgang der gesellschaftlichen Entwicklung entgegenstand? Er wurde im "Gemeininteresse" individualisiert, d.h. privatkapitalistisch angeeignet. In der Geschichte der ökonomischen Gesellschaftsformation vollziehen sich solche Umwälzungen, wo die Eigentumsverhältnisse mit den materiellen Produktivkräften in Konflikt geraden, zu Hauf - sie sind in dieser Gesellschaftsformation treibendes Moment gesellschaftlicher Entwicklung überhaupt. In der Tragödie der Allmende ist dieser Widerspruch quantitativ (zahlenmäßiges Wachstum der Produktivkraft Schaf) dargestellt, er hat natürlich aber auch ein qualitative Seite. So geraten die Eigentumsverhältnisse der Sklavenhaltergesellschaft (Sklavenhalter hält Eigentum an Sklavenarbeiter und von ihm verwendeten Werkzeugen) immer mehr in Widerspruch mit deren Produktivkräften, je qualitativ hochwertiger sich letztere entwickeln, da der Sklave kein persönliches Interesse daran hat, diese sachgerecht schonend einzusetzen, geschweige denn weiterzuentwickeln.

Derartige Umwälzungsprozesse passieren nicht von heute auf morgen, indem sich ein Konsortium an Sklavenhaltern, Kapitalisten oder Finanzmagnaten trifft und nach Problemanalyse eine Lösung umsetzt - oft sind es jahrhundertelange Prozesse. "Rome wasn't built in a day". Es ist aber auch nicht an einem einzelnen Tag untergegangen.

Es bleibt natürlich zu bezweifeln, ob das antike Rom überhaupt untergegangen ist, oder lediglich einen Umwälzungsprozess durchlaufen hat. Nachdem dies ein ökonomischer und kein historischer Blog ist, bleibt aber zu fragen: In welchem Umwälzungsprozess befindet sich unser gegenwärtiges Gesellschaftssystem? Wenn sich alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen als Tragödie und Farce sozusagen zweimal ereignen, droht die Tragödie der Allmende dann, zur Farce zu werden?

Der dritte und letzte Teil folgt am Dienstag, 24. März.

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