Sonntag, 19. April 2009

„Exzesse? Systemimmanent!“ - Teil III und Schluss

Kapitalismus und Krise

Angesichts der offensichtlichen Aufblähung der Finanzmärkte ist es für viele nahe liegend, die Ursachen der gegenwärtigen Krise in der Finanzsphäre zu suchen. Die UNCTAD sprach unlängst von einem „Systemfehler“ im Zusammenhang mit der Krise und verweist dabei unter anderem auf die vollständige Deregulierung der Finanzmärkte sowie die Verfeinerung spekulativer Techniken. Beides ist zutreffend. Allerdings ist damit die Krise noch nicht erklärt. Anders als die Krisen im 17. und 18. Jahrhundert die reine Geld-, Spekulations- und Kreditkrisen waren, die meist durch außerökonomische Ursachen hervorgerufen wurden und eine Unterproduktion bewirkten indem sie die Produktion hemmten, handelt es sich bei den periodischen Krisen des Kapitalismus, die seit 1825 regelmäßig wiederkehren, um Überproduktionskrisen, die auf die inneren Widersprüche des Kapitalismus zurückzuführen sind. Geld-, Kredit- und Börsenkrisen begleiten auch diese Krisen, jedoch als Erscheinungsformen und nicht als deren Ursache.

Auch gegenwärtig haben wir es mit einer Überproduktionskrise zu tun, jedoch hat sich seit dem 19. Jahrhundert wiederum einiges geändert. Im vormonopolistischen Kapitalismus waren „Finanzkrisen“ eng an den Krisenzyklus gekoppelt, da sich Geld- und Warenzirkulation weitestgehend parallel zueinander entwickelten. Deshalb konnte sich die monetäre Sphäre über den Zyklus hinaus nicht wesentlich von ihrer materiellen Grundlage im Reproduktionsprozess entfernen. Im heutigen Kapitalismus ist dies jedoch der Fall. Durch die wachsende Ökonomisierung des Geldumlaufs, den Ausbau des Bankensystems und der Monopolisierung der Banken nimmt das Kreditgeld den entscheidenden Platz ein. Bereits vor 21 Jahren führen die Autoren des Instituts für Internationale Politik und Wirtschaft der DDR aus: „Geld, das nicht direkt der Verwertung dient, kann durch das Bankensystem schnell als Geldkapital mobilisiert und in zinstragendes Kapital umgewandelt werden. In entgegengesetzter Richtung können aber auch Formen des zinstragenden Kapitals relativ schnell in Geld, das seine Geldfunktionen ausübt, verwandelt werden. Das zinstragende Kapital stellt damit eine gewaltige Kreditgeldreserve dar, die jederzeit den Geldumlauf relativ unabhängig von der Entwicklung der Warenzirkulation und ihres Wertumfangs zu erhöhen vermag.“

Die Dominanz des Kreditgeldes entspricht den neuen Erfordernissen der Kapitalbewegung und der strukturellen Überakkumulation von Kapital. Durch die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Giralgeldschöpfung der Banken über die Bedürfnisse der Kapitalreproduktion und Warenzirkulation hinaus, wird die Gefahr von Disproportionen und Krisensituationen in der Geldsphäre ausgeweitet. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich bemerkt in ihrem 78. Jahresbericht im Frühjahr 2008 etwa: „Tatsächlich gab es in der Wirtschaft und im Finanzsektor in den letzten Jahren einige außergewöhnliche Trends, die nicht zu übersehen waren. Das Geldmengen- und Kreditwachstum war sehr hoch, während Risiken insgesamt zu niedrig bewertet schienen. Diese weltweit hohen Geldmengen- und Kreditwachstumsraten in den letzten Jahren spiegeln die Wechselwirkungen der Geldpolitik, des Wechselkursregimes einiger Länder sowie bedeutsamer Veränderungen im Finanzsystem selbst wider.“ Freilich muss den Ursachen der gegenwärtigen Krise noch gründlich nachgegangen werden. Fest stehen dürfte aber bereits, dass zu der „gewöhnlichen“ Überakkumulationskrise noch ein Moment hinzukommt, dass über die Zyklen hinweg wirksam war und nun mit voller Wucht in die „Realwirtschaft“ zurückschlägt.

Literatur:

Autorenkollektiv, Krisenprozesse in den internationalen Finanz-, Kredit- und Währungsbeziehungen des Kapitalismus, in: IPW Forschungshefte 2/1988, Berlin
Aristoteles, Politik, Stuttgart 1989
Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), 78. Jahresbericht, Basel 2008
Marx, Karl, Das Kapital, Dritter Band, in: MEW 25
Oelßner, Fred, Die Wirtschaftskrisen. Die Krisen im vormonopolistischen Kapitalismus, Berlin 1951
T., Anne, Die Gier war grenzenlos. Eine deutsche Börsenhändlerin packt aus, Berlin 2009
United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), The Global Economic Crisis. Systemic Failures and Multilateral Remedies, New York and Geneva 2009
Wagenknecht, Sahra, Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft, Berlin 2008
Wahl, Peter, Entwaffnet die Märkte, Hamburg 2009
Zola, Emile, Das Geld, Frankfurt 1995

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