Mittwoch, 15. April 2009

„Exzesse? Systemimmanent!“ - Teil I

Über „Finanzgetriebenen Kapitalismus“ und die Krise der Weltwirtschaft.

Wolfgang Schäuble, dem man ansonsten nicht über den Weg trauen sollte, sagte in der „Kleinen Zeitung“ unlängst etwas Aufrichtiges. Auf die Gier der Spekulanten angesprochen, die von vielen hauptverantwortlich für die Krise gemacht wird, antwortet er: „Jeder von uns wird, wenn er vor die Alternative gestellt wird, zehn Millionen mehr oder weniger zu haben, sich eher für mehr entscheiden.“

Spekulanten sind Menschen, das wissen wir spätestens seit Emile Zolas Roman „Das Geld“ aus dem Jahre 1891, die das Geld nicht lieben wie der Geizhals, der einen großen Haufen davon haben will um es im Keller zu verstecken. „Nein! Wenn es nach seinem Willen überall hervorsprudeln soll, wenn er es aus jedweder Quelle schöpft, so weil er sehen möchte, wie es ihm in Strömen zufließt, und wegen all der Genüsse, die es ihm verschafft […]“ Das Geld muss also fließen, es darf nicht zum Schatz erstarren sondern soll die Bewegung von Geld zu mehr Geld durchmachen. Und diese Bewegung des Geldes, das ist seit Aristoteles bekannt, ist maßlos. Diese Maßlosigkeit hat der Spekulant verinnerlicht. Hörte er auf maßlos zu sein, wäre er kein Spekulant und ein anderer nähme seinen Platz ein.

Was Schäuble eingangs richtig bemerkte, kann einem auch jeder bestätigen der in der Spekulationsbranche tätig war, so auch eine deutsche Ex-Investmentbankerin, die ihren Job bei einer großen Bank sausen ließ und nun aus dem Nähkästchen plaudert. Bei der Lektüre ihres Buches „Die Gier war grenzenlos“ wird man auch als Ökonom verblüfft sein über die Auswüchse und Dimensionen, welche das Geschäft mit Finanzprodukten insbesondere Derivaten angenommen hat. Ohne Scham erzählt die ehemalige Bankerin, wie die Abteilung ihrer Bank an den Steuerbehörden Milliarden vorbeimanövrierte, wie sie Kleinanleger und selbst Fondsmanager prellte und hinters Licht führte und wie sie auch an den größten Katastrophen dieses Jahrzehnts noch gut verdiente, für ihre Bank und natürlich auch in Form von Bonuszahlungen für sich selbst. Als Derivathändlerin gehörte sie zu den „Masters of the Universe“, so dachte sie zumindest eine zeitlang. Weder eine Finanzmarktaufsicht, die stets zehn Schritte hinterherhinkte, noch der Vorstandsstab der eigenen Bank, geschweige denn das Publikum verstand, was es mit den Geschäften der Broker auf sich hatte, die per Mausklick Milliarden bewegten, und zwar ohne jegliche Skrupel.

Der Markt kennt keine Moral, sagt die Autorin. Und so ist es auch. Das ganze kulminiert dann in der Bemerkung: „Lücken in politischen Gesetzen waren gemeinhin schneller zu entdecken. Zum Beispiel Hartz IV: Wie viele Expertenkommissionen hatten sich zusammengesetzt, um diese Reform in allen Einzelheiten auszuarbeiten! Trotzdem zeigte es sich erst in der Praxis, ob die erlassenen Gesetze funktionierten. […] So konnte man beim Sozialamt nachprüfen, welche Leute wie viel bekamen, Mitbürger und Medien waren auch noch Kontrollinstanzen. Die Finanzaufsicht hat es jedoch nicht mit vergleichbar konkreten Nachvollziehbarkeiten zu tun. Es gibt hier kein „Sozialamt“, das etwas registriert, dass heute sieben Derivate nach Irland gegangen sind und gestern acht nach Luxemburg. Überblick? Den konnte man vergessen. Exzesse? Systemimmanent. Broker dachten nicht an mögliche Dominoeffekte, dafür waren sie nicht zuständig, zuständig waren sie für das eigene Wohl: Wie gesagt: Märkte waren unmoralisch – und effizient.“

Wenn es aber die Aufgabe der Broker nicht ist, sich Gedanken über die Störanfälligkeit des Systems zu machen und wenn die Strukturen der Finanzmärkte für kaum jemanden mehr durchschaubar sind, wer soll für eine – jetzt wieder viel diskutierte – Regulierung verantwortlich sein? Auch die vom G-20-Gipfel intendierte Aufsicht wird dem Treiben auf den Finanzmärkten kein Ende setzen. Es braucht vor allem eines: Der Finanzgetriebene Kapitalismus muss in die Schranken gewiesen werden.

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