Freitag, 28. November 2008

Wen trifft die Finanzkrise wirklich?

Unter dieser Frage veranstaltete das Vienna Institute for Dialogue and Cooperation gestern eine Podiumsdiskussion im Wien Museum. Auf die gestellte Frage wurde in den Beiträgen zwar kaum eingegangen, was die Brisanz der Beiträge aber kaum schmälerte.

Walter Ötsch von der Universität Linz lieferte in seinem Beitrag eine scharfe Ideologiekritik der Neoklassik und zeichnete den Aufstieg der Neoliberalen nach, wie er es auch in seinen beiden 2009 erscheinenden Neuveröffentlichungen "Der neoliberale Markt-Diskurs" und "Mythos des Marktes" tut.

Karin Küblböck von der ÖFSE lieferte in äußerst bündiger Form den wohl prägnantesten Vortrag des Abends, indem sie auf die Verflechtung von Realwirtschaft und Finanzkrise hinwies. Einleitend hielt sie fest, das Finanzmärkte zwar wichtig für das Funktionieren einer modernen Volkswirtschaft, allerdings zu mächtig geworden sind. Als Grund daführ führte sie die wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen an, wodurch Geld, das keine produktive Funktion mehr erfüllen konnte, in Finanzmärkte floss und auch durch Pensionsfonds u.ä. gezielt dorthin gelockt wurde. Es könne nicht seien, dass mit unseren Pensionsbeiträgen die Finanzmärkte aufgebläht würden und wir die Risiken zu tragen hätten. Als Alternativen forderte sie eine globale Finanzmarktaufsicht - zumindest auf EU-Ebene -, stärkere Bankenregulierung und das knüpfen des derzeitigen österreichischen Bankenpakets an schärfere Bedingungen, neue Ratingvorschriften, die Schließung von Steueroasen, eine Finanztransaktionssteuer sowie die Verteilungsfrage grundlegend anzugehen.

Alles andere als kurz und prägnant hielt sich Ludwig Scharinger von der Raiffeisen Landesbank OÖ, die sich vor allem der Förderung der lokalen Wirtschaft und weniger riskanten Finanzspekulationen gewidmet hat. Entsprechend kritisierte er zurecht die strenge Regulierung der Kreditvergabe an KMUs im Zuge der Basel-II-Kriterien, die allerdings für Swamps und Hedging keinerlei Regulierung vorsehen. Ferner kritisierte er auch den vielfach gelobten vormaligen Chef der US-Notenbank FED, Alan Greenspan dafür, dass dieser nur Konjunkturpolitik gemacht hätte und dabei auf Stabilitätspolitik vergessen wurde. Durch unterschiedliche, volatile Zinssignale sei die internationale Spekulation gefördert worden, was durch binnenwirtschaftliche Überlegungen motiviert und daher auch nicht international koordiniert gewesen wäre. Dem entsprechend sei auch auch die US-Investmentbank Lehman aus eiskaltem Kalkül fallen gelassen worden, weil das v.a. die EU und Asien träfe und weniger US-Anleger. Dadurch sei es aber genau dazu gekommen, was das derzeitige Problem wäre: eine Vertrauenskrise. Von einer Wirtschaftskrise wollte Scharinger, im Gegensatz zu Küblböck, nicht sprechen.

Die Berarterin des scheidenden Bundeskanzlers Alfred Gusenbauer und künftige wie ehemalige Nationalbankmitarbeiterin, Helene Schuberth, stieg mit einem Zitat vom Postkeynesianer Hyman Minsky aus "Can 'it' happen again?" in ihren Beitrag ein, wobei sie darauf verwies, dass Minsky mit der verneinung dieser Frage nach der Wiederholbarkeit der Weltwirtschaftskrise 1929 einen seiner wenigen Fehler gemacht hätte. Obwohl die Regierungen hinsichtlich der Problemlösungen und Wirtschaftspolitik nicht von 1929 gelernt hätten, so wäre die derzeitige EU-Bankenrettung doch durchwegs gelungen. In Bezug auf die Aktualität keynesianischer Wirtschaftspolitik verwies sie darauf, dass es heute Maßnahmen bedürfe, die weit über die üblichen Instrumente keynesianischer Wirtschaftspolitik hinausgehen. Sie sehe die Gefahr, dass nur an Stellschrauben gedreht wird, um ein überkommenes System zum Laufen zu bringen, bis es zur nächsten Krise kommt und verwies auf die Schuldendeflationsphase in Japan als abschreckendes Beispiel.

Birgit Ertl von der Finanzmarktaufsicht betonte vor allem die von Gesetzes wegen eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der Finanzmarktaufsicht, die keine höhere Verwaltungsstrafe als 50.000 €uro verhängen könne. Die internationale Regulierung bezeichnete sie als große Herausforderung unserer Zeit und stellte in den Raum, ob im Zuge dessen nicht der IMF - in abgeänderter Form - als Regulierungsinstitution auf den Plan treten könne.

Kunibert Raffer von der Universität Wien zeigte sich gegenüber dem Vorschlag für mehr Macht für den Währungsfonds erwartungsgemäß skeptisch. Er ging in seinem Beitrag zunächst auf die unterschiedlichen Auswirkungen der Finanzkrise auf die verschiedenen Kontinente ein. Lateinamerika habe sich durch Währungsreserven gut abgesichert und sei deshalb wenig betroffen. Afrika sei weitgehend zu arm, um als Ziel umfangreicher internationaler Finanzinvestitionen und -spekulationen zu dienen. Auch für Asien sei der weltwirtschaftlicher Transitionsriemen in erster Linie kein finanzieller. Dennoch gäbe es für alle Länder(gruppen) negative Auswirkungen über andere Märkte und das sei v.a. der Güterhandel, wobei Raffer auch auf die negativen Auswirkungen sinkender Rohstoffpreise für die Entwicklungsländer - die ja allesamt Rohstoffexporteure sind - hinwies.

Mittwoch, 26. November 2008

Die hohen Kosten des Marktmechanismus

Das isw-München führte Ende Oktober ein eintägiges Seminar zu den Ursachen und Folgen der Finanzkrise und den Alternativen eines funktionsfähigen und demokratischen Wirtschafts- und Finanzsystems durch. Das Referat von Franz Garnreiter zu "Spekulation - die extrem hohen Kosten des Marktmechanismus" findet sich hier.

Dienstag, 25. November 2008

Für einen demokratischen Kurswechsel

Ein Falter der Friedenswerkstatt setzt sich mit der aktuellen Finanzkrise auseinander. Download hier; auf Wunsch können unter office@werkstatt.or.at auch Druckexemplare angefordert werden.

Montag, 24. November 2008

Serie: Kleines ABC der Finanzkrise

Teil 6

Wie kommt es zur Krise?

Die Jagd nach maximalem Profit, die Verwertung des Kapitals, ist unter den Bedingungen des kapitalistischen Konkurrenzkampfes nicht möglich, ohne die Produktion auf erweiterter Stufenleiter zu betreiben. Die Akkumulation von Mehrwert zum Zwecke der wirtschaftlichen Expansion ist daher eine Existenzfrage für jeden Kapitalisten und somit für die kapitalistische Wirtschaft insgesamt. Die Verwertung des Kapitals, die Profitmacherei gerät nun in fortwährenden Konflikt mit dem Mittel, wodurch sie erreicht wird. Die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit, der Versuch der Verbesserung der Verwertungsbedingungen führt also ständig zu deren Verschlechterung.

Es kommt im Prozess der Akkumulation zu einem ständigen Anstieg des konstanten Kapitals gegenüber dem variablen. Dies, da die Kapitalisten danach trachten ihre Waren zu verbilligen durch die Anwendung immer ausgefeilter Technologie und immer besserer Produktionsmethoden. Das heißt in gegebener Zeit bedienen Arbeiter mehr Maschinen, verarbeiten mehr Rohstoffe und erzeugen mehr Waren. Das bedeutet aber nicht, dass das variable Kapital absolut abnimmt, das heißt, die Menge der angewandten lebendigen Arbeit geringer werden muss. Das Gegenteil ist der Fall. Aus dieser nur relativen Abnahme des variablen Bestandteils des Gesamtkapitals resultiert der Fall der Profitrate. Die Profitrate drückt das Verhältnis des Mehrwerts zum eingesetzten Gesamtkapital aus. Da nun das variable Kapital gegenüber dem konstanten zurückgeht, der Mehrwert aber nur aus dem variablen Kapitalteil entspringt, weist die Profitrate eine Tendenz zum Sinken auf. Dennoch kann die absolute Masse des Profits progressiv wachsen, trotz des progressiven Falls der Profitrate. Die Akkumulation und Konzentration soll nun den Fall der Profitrate durch die Masse des Profits kompensieren.

Nun hat der Fall der Profitrate aber noch eine andere Tendenz, die der raschen Akkumulation entgegenwirkt. Soweit nämlich durch diesen Fall die Rate der Verwertung des Gesamtkapitals sinkt, also der Stachel der kapitalistischen Produktion erlahmt, wird die Bildung neuer selbständiger Kapitale verlangsamt. Die Kapitale, die infolge der fallenden Profitrate nicht angewandt werden können, liegen jetzt brach.

Der kapitalistische Akkumulationsprozess ist auf die Gewinnung von Mehrwert, von Profit ausgerichtet, allerdings muss dieser Mehrwert erst realisiert werden. Marx führt darüber aus: „Mit der Entwicklung des Prozesses, der sich im Fall der Profitrate ausdrückt, schwillt die Masse des so produzierten Mehrwerts ins Ungeheure. Nun kommt der zweite Akt des Prozesses. Die gesamte Warenmasse, das Gesamtprodukt, sowohl der Teil, der das konstante und variable Kapital ersetzt, wie der den Mehrwert darstellt, muss verkauft werden. Geschieht dies nicht oder nur zum Teil oder zu Preisen, die unter den Produktionspreisen stehen, so ist der Arbeiter zwar exploitiert, aber seine Exploitation realisiert sich nicht als solche für den Kapitalisten, kann mit gar keiner oder nur teilweiser Realisation des abgepressten Mehrwerts, ja mit teilweisem oder ganzem Verlust seines Kapitals verbunden sein. Die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und ihre Realisation sind nicht identisch. Sie fallen nicht nur nach Zeit und Ort, sondern auch begrifflich auseinander. Die einen sind nur beschränkt durch die Produktivkraft der Gesellschaf, die andren durch die Proportionalität der verschiedenen Produktionszweige und durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft. Diese letztre ist aber bestimmt weder durch die absolute Produktionskraft noch durch die absolute Konsumtionskraft; sondern durch die Konsumtionskraft auf Basis antagonistischer Distributionsverhältnisse, welche die Konsumtion der großen Masse der Gesellschaft auf ein nur innerhalb mehr oder minder enger Grenzen veränderliches Minimum reduziert. Sie ist ferner beschränkt durch den Akkumulationstrieb, den Trieb nach Vergrößerung des Kapitals und nach Produktion von Mehrwert auf erweiterter Stufenleiter. Dies ist das Gesetz für die kapitalistische Produktion, gegeben durch die beständigen Revolutionen in den Produktionsmethoden selbst, die damit beständig verknüpfte Entwertung von vorhandnem Kapital, den allgemeinen Konkurrenzkampf und die Notwendigkeit, die Produktion zu verbessern und ihre Stufenleiter auszudehnen, bloß als Erhaltungsmittel und bei Strafe des Untergangs.“ (Karl Marx, MEW 25, S. 254 f.)

Im Verlauf eines raschen Aufschwungs der Produktion verschlechtern sich also die Verwertungsbedingungen des Kapitals. Es kommt dadurch zur Krise. Die Krisen sind dabei nur momentane gewaltsame Lösungen der vorhandenen Widersprüche, gewaltsame Eruptionen, die das gestörte Gleichgewicht für den Augenblick wieder herstellen.

„Der Widerspruch, ganz allgemein ausgedrückt, besteht darin, dass die kapitalistische Produktionsweise eine Tendenz einschließt nach absoluter Entwicklung der Produktivkräfte, abgesehen vom Wert und dem in ihm eingeschlossenen Mehrwert, auch abgesehen von den gesellschaftlichen Verhältnissen, innerhalb deren die kapitalistische Produktion stattfindet; während sie andererseits die Erhaltung des existierenden Kapitalwerts und seine Verwertung im höchsten Maß (d.h. stets beschleunigten Anwachs dieses Werts) zum Ziel hat. Ihr spezifischer Charakter ist auf den vorhandenen Kapitalwert als Mittel zur größtmöglichen Verwertung dieses Werts gerichtet. Die Methoden, wodurch sie dies erreicht, schließt ein: Abnahme der Profitrate, Entwertung des vorhandnen Kapitals und Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit auf Kosten der schon produzierten Produktivkräfte.“ (Karl Marx, MEW 25, S. 259)

Samstag, 22. November 2008

Serie: Kleines ABC der Finanzkrise

Teil 5

Was heißt Grundwiderspruch des Kapitalismus?

In der kapitalistischen Warenproduktion herrscht gemeinschaftliche, gesellschaftliche Arbeit einer Vielzahl von Arbeitern unter dem Kommando eines großen Kapitalisten. Die Entwicklung der Großproduktion beschleunigt die Arbeitsteilung, erhöht die Produktivkraft der Arbeit und bedarf eines großen Marktes. Damit wächst der wechselseitige Zusammenhang der einzelnen Betriebe und Wirtschaftszweige und deren Abhängigkeit voneinander nimmt zu. Jedes Produkt ist das Produkt vieler Hände. Die Produktion erhält immer mehr gesellschaftlichen Charakter. Anderseits sind die Produktionsmittel in den Händen weniger konzentriert, ihnen gehören das Produkt der Arbeit und der Mehrwert den sich die Kapitalisten unentgeltlich aneignen. Die Kapitalisten, die getrennt voneinander produzieren, sind nur am Profit interessiert. Dabei ist jeder Kapitalist für den anderen in erster Linie Konkurrent, den es zu verdrängen gilt. Die beiden grundlegenden Seiten der kapitalistischen Produktionsweise bilden eine unzertrennliche Einheit im Kapitalismus und stehen zugleich in einem unlösbaren Widerspruch zueinander. Aus diesem Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion und privatkapitalistischer Aneignung ergibt sich die Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit der Krisen im Kapitalismus.

Donnerstag, 20. November 2008

Die Krise geht uns alle an!

"Finanzkrise" und "Hypothekenkrise" - vor allem unter diesen Schlagworten firmiert die aktuelle Produktions- und Regulationskrise des globalen Kapitalismus derzeit in den bürgerlichen Medien. Damit soll vorgegaukelt werden, es hielte sich bei der Krise um ein auf den US-Hypothekenmarkt oder die Finanzmärkte beschränkten Phänomen.

In den nächsten Monaten wird aber offensichtlich werden, wie sehr diese Krise ans "Eingemachte" der arbeitenden Menschen auch in Österreich geht. Einige Arbeitnehmer/-innen waren ja schon bisher von "Sozialplänen" (Entlassungen) und Kurzarbeit betroffen - ein Geplänkel im Vorfeld gegenüber dem, was noch kommen wird. Der Kurier vom Montag meldet unter Berufung auf das AMS, dass 2009 allein in der Sachgüterproduktion 11.000 Jobs gestrichen werden dürften. Im Bauwesen rechnet das AMS mit 8.000 Jobs weniger, die öffentliche Verwaltung würde 800 Arbeitnehmer/-innen abbauen. Insgesamt soll es österreichweit laut AMS-Chef Buchinger 20.000 Arbeitslose mehr geben. Bereits im Oktober 2008 waren fast ein Drittel (das sind über 7.000) Leute mehr im Rahmen des Frühwarnsystems zur Kündigung vorgemerkt. Darüber hinaus ist auch mit verstärkter Kurzarbeit zu rechnen. Alles wohlgemerkt, wenn es zu keiner Verschärfung der Krise kommt. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Mittwoch, 19. November 2008

AKNÖ zur Wirtschaftskrise

Letzten Donnerstag tagte die 131. Vollversammlung der Arbeiterkammer NÖ. Neben Post und Austrian stand dabei vor allem die Finanzkrise im Mittelpunkt. So forderte etwa der von der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter/-innen eingebrachte Leitantrag einen wirtschaftspolitischen Neubeginn:
Die Wirtschaftskrise, die sich im Frühsommer 2007 am US-Immobiliensektor bemerkbar zu machen begann und nun auch immer stärker über Europa hereinbricht, ist kein kurzfristiger wirtschatlicher Einbruck und schon gar nicht auf den Finanz- oder Immobiliensektor beschränkt.

Die letzten beiden Jahrzehnte waren in der Wirtschaftspolitik maßgeblich vom Dogma geprägt, dass die allgemeine Wohlfahrt umso mehr steigt, je weniger der Staat in den Wirtschaftsprozess eingreift und je mehr Leistungen von Privaten in wettbewerblichen Marktprozessen erbracht werden. Entsprechend dieser Doktrin, die von vielen unter dem Begriff "Neoliberalismus" zusammengefasst wurde, stand die Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit von Konzernen ebenso im Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik, wie den eigenen Wirtschaftsstandort durch sozialpolitischen Kahlschlag interessant für Investititonen zu machen. Mittelfristige Auswirkungen waren u.a. schwindelerregende Gewinne bei gleichzeitigem Abbau von Arbeitsplätzen und eine immer ungelicher werdende Einkommensverteilung zwischen Kapital und Arbeit aber auch innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer/-innen.

Die daraus resultierenden Profite sowie einige enorm hohe Einkommen mussten möglichst profitabel investiert werden. Die Unterwerfung immer breiterer gesellchaftlicher Bereiche (wie Gesundheit, Bildung etc., Privatisierung vormals staatlicher Unternehmen) unter die Logik von Markt und Profit sowie zunehmend riskantere Spekulationen an den Finanzmärkten waren die Folge. Letztere fungierten dabei nicht mehr als für die Realwirtschaft notwendiger Mittler zum Ausgleich zwischen gespartem Einkommen und benötigtem Kredit für Invetitionen. Im Gegenteil ordneten sich Politik und weite Teile der Wirtschaft den Finanzmärkten und ihrer Logik vom Shareholder-Value und kurzfristigen Renditen unter.

Der jetzige finanzwirtschaftliche Almabtrieb zeigt, dass es mit der vielbeschworenen "Rationalität" dieser Finanzmärkte nicht weit her ist und dass diese nicht als Regulator des Wirtschaftsprozesses dienen können. Entgegen dem neoliberalen Credo ist es jetzt der Staat, dessen Handlungsmöglichkeiten in den letzten Jahren mehr und mehr eingeschränkt wurde, der mit großzügigen Notprogrammen und Verstaatlichungen die schlimmsten Auswirkungen des angerichteten Desasters lindern soll. Insofern ist die jetzige Krise nicht nur der Zusammenbruch einiger Finanzmagnaten, sondern einer ganzen ökonomischen Denkschule und des zugehörigen Modells kapitalistischer Entwicklung.

Die Antwort auf die Frage, was nach dem Neoliberalismus kommen wird und wohin sich die Wirtschaftspolitik entwickelt, ist derzeit noch nicht klar abzusehen und wird nicht zuletzt auch davon abhängen, wie sich die Institutionen und Interessenvertretungen der Arbeitnehmer/-innen in die jetzigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen einbringen. Für die AKNÖ ist dabei klar, dass es nicht darum gehen kann, nur kurzfristig Verluste zu vergesellschaften und dann zur Tagesordnung zurückzukehren. Die Konsequenz des wirtschaftspolitischen Desasters muss v.a. eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Markt und Staat sein. Dabei dürfen Kernbereiche, die für das Funktionieren des Wirtschaftskreislaufes und die damit verbundene soziale Absicherung ihrer Teilnehmer/-innen von zentraler Bedeutung sind, nicht weiterhin dem Profitstreben einzelner in der Hoffnung überlassen werden, der Markt werde ein Ergebnis zum Wohle aller verwirklichen. Insbesondere im Bereich der Finanzmärkte ist diesbezüglich stärkere staatliche Regulierung oder mehr staatliche ökonomische Aktivität vonnöten. Dabei wird deutlich, dass das wirtschaftspolitische Umdenken nicht nur auf einzelne Staaten beschränkt sein darf, sondern auch innerhalb der Europäischen Union eine Trendwende vollzogen werden muss.

Auf politischer Ebene muss sichergestellt werden, dass den arbeitenden menschen, die den gesellschaftlichen Reichtum produzieren, die Einflussmöglichkeiten gegeben sind, wie mit diesem Reichtum verfahren werden soll. Das bedeutet v.a. eine Stärkung der Bedeutung der Institutionen und Organisationen der Arbeitnehmer/-innen.
In einem weiteren Antrag zu Strategien gegen die weltweite Finanzkrise forderte die Vollversammlung:
  • dass die Kosten der Krise berechnet und nicht auf die Arbeitnehmer/-innen übergewältzt sondern in Form von Gewinn-, Vermögens- und Spekulationssteuern zurückbezahlt werden sollen,
  • dass unternehmensfinanzierte und staatlich garantierte Auffangnetze für Arbeitnehmer/-innen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, eingerichtet werden
  • dass Einkommenshöchstgrenzen für Manager/-innen definiert werden sowie
  • dass notwendige Staatsbeteiligungen und Verstaatlichungen nicht auf den Finanzsektor beschränkt sein sollen und dafür eine staatliche Auffanggesellschaft gegründet und mit dem notwendigen Kapital ausgestattet werden soll.

Montag, 17. November 2008

Was ist der Unterschied?

Der ehrwürdige Meister Ajahn Chah aus Thailand sagte vorher, dass es auf der Welt irgendwann einmal kein Papier mehr für Geldscheine und kein Metall für Münzen geben werde. Also müsste sich die Menschheit für finanzielle Transaktionen etwas anderes ausdenken. Ajahn Chah wartete mit der Idee auf, dass dann Kügelchen aus Hühnerkot das bisherige Geld ersetzen könnten. Also würden die Menschen mit Taschen voller Höhnerscheiße herumlaufen, die Banken wären voll von dem Zeug, und Räuber würden versuchen, es anderen zu stehlen. Die Reichen wären stolz auf den Berg Hühnerscheiße, den sie angehäuft hätten, und arme Leute würden davon träumen, in der Lotterie einen Berg Hühnerscheiße abzuräumen. Regierungen würden sich intensiv mit der Lage der Hühnerscheiße in ihrem Land beschäftigen, und deren Auswirkungen auf die restliche Welt diskutieren. Und sobald ausreichend Kot in Umlauf gebracht worden sei, würde man auch den sozialen Fragen und den Umweltthemen in Zusammenhang mit Hühnerscheiße Platz einräumen.
Was ist also der entscheidende Unterschie zwischen Geldscheinen, Münzen und Hühnerscheiße?

aus: Ajahn Brahm: Die Kuh, die weinte

Samstag, 15. November 2008

Rezession!

Kurz war es eine Headline auf orf.at: Die USA und die Eurozone waren im 3. Quartal 2008 in einer Rezession. Wenig später wurde die Meldung dann im Sinne der Nicht-Verunsicherung der Konsumentinnen auch schon vom Jubel über die hohen Einkommen in Österreich abgelöst.

Nicht nur aufgrund der eher mäßigen Abschlüsse bei den Kollektivvertragsverhandlungen könnte es damit aber schon bald vorbei sein. Noch wächst Österreichs Wirtschaft zwar ein wenig (+ 0,1 % im 3., + 0,3 % im 2. Quartal 2008), doch fragt sich: wie lange noch?

Die OECD präsentierte am Donnerstag auf einer Pressekonferenz ihren eher düsteren Konunkturausblick für USA, Japan und die Eurozone. Demnach befinden sich all diese drei Wirtschaftsräume in einer Rezession. Rezession heißt nach geläufiger Definition, dass die Wirtschaftsleistung (reales BIP) eines Wirtschaftsraumes über zwei Quartale jeweils gegenüber dem Vorquartal schrumpft.

Die konkreten Prognosen:

................3. Quartal 08....4. Qrtl 08...1. Qrtl 09....2. Qrtl 09....3. Qrtl 09......4. Qrtl 09
USA............. - 0.3 %...........- 2.8 %.....- 2.0 %.......- 0.8 %...........+ 0.6 %........+ 1.2 %
Japan ............- 0.4 %..........- 1.0 %......+ 0.8 %......+ 0.6 %.........- 0.3 %.........+ 0.2 %
Euro-Zone.......-0.5 %.......... -1.0 %........-0.8 %.......- 0.4 %.........+ 0.1 %.........+ 0.7 %

Auf Österreich wird sind in Zukunft vermutlich v.a. die schlechte Wirtschaftsentwicklung der wichtigsten Handelspartner auswirken:

Die Exporte Österreich belaufen sich auf fast 62 % des Bruttoinlandsproduktes, wodurch Österreich stark von der ausländischen Nachfrage nach österreichs Exporten abhängig ist. Diese Nachfrage wird sich aufgrund der Wirtschaftsentwicklung der Handelspartner aber nicht rosig entwickeln können:

30 % aller österreichischen Exporte gehen nach Deutschland, das zwar 2008 noch ein Wirtschaftswachstum erzielen kann (+ 1.7 %), allerdings am Beginn einer Krise steckt: Das 4. Quartal 2008 ist laut IWF-Prognose gegenüber dem 4. Quartal 2007 bereits rückläufig (- 0.3 %). 2009 wird diese Krise dann verstärkt durchschlagen und ein Einbruck der Wirtschaft um - 0.8 % prognostiziert.

Noch schlimmer ist die IWF-Konjunkturprognose für Österreichs zweitwichtigsten Handelspartner Italien (8.9 % der Exporte): bereits 2008 schrumpft die dortige Wirtschaft um - 0.2 %, 2009 sollen es - 0.6 % sein.

Der drittwichtigste Abnehmer österreichischer Exporte, die USA (5,0 % der Exporte), wird sich über ein gesamtes Jahr in der Rezession befinden - erst ab dem 3. Quartal 2009 könnte es wieder zu einem mäßigen Wachstum kommen, ein signifikanter Nachfrageeffekt auf die Weltwirtschaft ist bei diesem Ausmaß aber vor 2010 sicher nicht zu erwarten. Für Österreich wiegt besonders schwer, dass die USA 8,7 % der Exporte Deutschlands absorbieren und somit der zweitgrößte Handelspartner von Österreichs wichtigstem Handelspartner sind.

Wohlgemerkt: Die ökonom(etr)ischen Prognosemodelle beziehen sich meist auf Gleichgewichtsmodelle, die gerade in wirtschaftlich instabilen Zeiten sehr fehleranfällig sind. Schwer einzuschätzen ist auch die weitere Entwicklung Osteuropas. Alleine die fünf wichtigsten Exportländer Österreichs in Mittel- und (Süd-)Osteuropa (Tschechien, Ungarn, Polen, Russland, Slowenien) absorbieren 14,1 % der hiesigen Exporte. Noch drastischere Auswirkungen als auf den Waren-Außenhandel hätte ein dortiger massiver Konjunktureinbruch aber auf die Kapitalbilanz, namentlich die österreichischen Kreditinstitute und ihre Beteiligungen in Osteuropa. Kommen diese ins Wanken, dann könnten entstehende Liquiditätsengpasse in diesen Ländern eine Kettenreaktion hervorrufen, die wiederum auf andere Kapitalexporteure in diese Region, v.a. Deutschland, Rückwirkungen hätte.

Die VertreterInnen der 20 führenden Volkswirtschaften haben bei ihrem heutigen Treffen in Washington, DC also allerhand Grund zum handeln.

Freitag, 14. November 2008

Eine andere Ökonomie ist möglich

Die im gestrigen Beitrag beschriebenen sozialen Bewegungen sind oft zunächst als "Überlebensinseln im Getöse der kapitalistischen Krise" (Altvater) entstanden. Damit aus diesen passiven Reaktionen nachhaltige "neue, über den Kapitalismus, wie wir ihn kennen, hinausgehende Formen der Vergesellschaftung" (ders.) werden, bedarf es mehr als kleinbürgerlicher und kleinmütiger Schwärmerei.

Als Paradebeispiel dafür kann die Entwicklung in Venezuela seit Beginn des bolivarischen Prozesses gesehen werden. So wie in manchen anderen Ländern haben sich auch dort vom globalen Kapitalismus enteignete und desillusionierte Menschen zu Produktionsgenossenschaften zusammengefunden. Auch die Tatsache, dass diesen staatliche Kredite zur Verfügung gestellt wurden, unterscheidet Venezuela nicht prinzipiell von anderen Ländern v.a. Asiens, wo die Mikrofinanzierung in den letzten Jahren zu einem wichtigen Instrument der Entwicklungspolitik wurde. Der bangladeschische Wirtschaftswissenschafter und Gründer der Grameen Bank, Muhammad Yunus, wurde für diesen Gedanken 2006 sogar mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Doch bei aller Akzeptanz dieses Gedankens auch im Kreise der herrschenden Eliten pocht dieser schon an die Tore der kapitalistischen Marktlogik, da er vor Augen führt, dass der politische Wille zur ökonomischen Umgestaltung einer Gesellschaft nicht ohne einen vergesellschafteten Banken- und Kreditsektor auskommen wird.

Was die Entwicklung in Venezuela (und auch Bolivien und Ecuador) von anderen Ländern unterscheidet, ist die Tatsache, dass dieser politische Wille vorhanden und nicht auf Einzelprojekte beschränkt ist, sondern zu einem integralen Programm der gesellschaftlichen Neuorientierung geworden ist. Das staatliche Handelsprogramm Mission Mercal zeigt einen zweiten Eckpfeiler, der für die Bewährung alternativer Produktionsweisen von zentraler Bedeutung ist: gesellschaftlicher Handel. Dies gilt insbesondere für den derzeit stark privatmonopolistischen Handel in Österreich, der die Unterordnung der Produktionsweisen unter die imperialistische Logik befördert.

Ein emanzipatorisches Bildungsprogramm zur Unterstützung dieser alternativen Produktionsformen, ein konzentrierter und effizienter staatlicher Sektor und die Übertragung von Eigentumsrechten an Fabriken an Besetzungsbewegungen, die sich wiederaneigneten, was ihnen von der kapitalistischen Enteignungsökonomie genommen wurde, sind weitere Eckpfeiler dieser gesellschaftlichen Neuorientierung.

Zu überlegen, wie derartige Neuorientierungen auch in den Zentren des westlichen Kapitalimus ausgestaltet und umgesetzt werden können, obliegt den hiesigen fortschrittlichen und sozialen Bewegungen. Klar ist aber, dass eine derartige neue Politik des gesellschaftlichen Wandels eng mit der Frage nach der politischen Macht verbunden ist, da der Staat eine wesentliche Rolle in dieser Neuorientierung spielt. Von Fayman, Rudas und Konsorten ist diesbezüglich ebensowenig zu erwarten wie übrigens von Barack Obama.

Donnerstag, 13. November 2008

Neokorporativismus oder Postkorporativismus?

Die Frage, welche Alternativen sich zu Neoliberalismus, Imperialismus und Wirtschaftskrise derzeit eröffnen, wird auch hier in schärferer Form zu stellen sein. Ihre Beantwortung muss das Handeln politischer Akteurinnen massiv beeinflussen. Das gilt besonders für die derzeit bedeutendste Interessenvertretung jener Gruppe, die am massivsten von der Krise betroffen ist, gleichzeitig aber auch über die potentielle Macht verfügt, eine Alternative durchzusetzen - die Gewerkschaften.

Falls sich das derzeitige ("neoliberale") Akkumulationsmodell des Kapitalismus tatsächlich erschöpft hat und die Krise als Zeit des Umbruchs verstanden wird, könnte Gramsci's These der "passiven Revolution" an Bedeutung gewinnen. Dabei geht es um die Anpassung der ökonomischen und politischen Verhältnisse an die neuen, in der Krise zum Ausdruck gekommenen Herausforderungen, wobei es den Herrschenden gelingt, ihr System gegenüber möglichen Alternativen zu verteidigen. Diese Herrschaftssicherung geht dabei - im Sinne der Herstellung von Hegemonie - oft mit einer Einbindung der revoltierenden, "subalternen" Klassen einher. Dies wäre eine mögliche Voraussetzung für ein neokorporativistisches Modell, das vor allem für die sozialpartnerschaftlich geprägten, harmoniebedürftigen (und tonangebenden) Teile der österreichischen Gewerkschaftsführung verlockend erscheinen mag.

Es gibt aber auch eine andere Handlungsoption, in der die Wirtschaftskrise zu einem Ausmaß an Destabilisierung führt, aufgrund der das herrschende System tatsächlich in seiner Grundlage erschüttert werden könnte. Dies kann nicht durch einen "endogenen Verfall", sondern nur durch einen äußeren Stoß von extremer Heftigkeit im Verein mit einer glaubwürdigen Alternative geschehen, wie der französische Historiker Fernand Braudell 1986 in "Aufbruch zur Weltwirtschaft" festhielt.

In den letzten Jahren sind in vielen krisengeschüttelten Ländern (v.a. Lateinamerikas, aber auch Asiens) soziale Bewegungen entstanden, die versuch haben, sich wiederanzueignen, was den Menschen von Konzernen und Finanzinstitutionen - meist infolge einer Krise - genommen wurde. Die Landlosenbewegung Brasiliens ist ein Beispiel, die Fabrikbesetzungen in anderen lateinamerikanischen Ländern ein anderes. Wenn Konzerne in den nächsten Jahren auch hierzulande aus Profitlogik Standorte schließen und zigtausende Menschen arbeitslos machen, die Produktionskapazitäten aber noch vorhanden sind, während es den delogierten Arbeitnehmerinnen am Notwendigsten fehlt - wer will sie daran hindern, sich diese Produktionskapazitäten anzueignen (außer den Gewerkschaften)? Wenn den Belegschaften vor Ort keine anderen als diese drastischen Handlunsmaßnahmen mehr bleiben, wird irgendwann auch die Gewerkschaft nicht mehr still stehen können. Insofern lässt sich auch erahnen, wie eng verknüpft die Frage einer gesellschaftlichen Neuorientierung mit einer Neuorientierung des ÖGB verbunden ist.

Zur Frage Neokorporativismus oder Postkorporativismus sei an dieser Stelle Goethe konsultiert:

Gehorche meinem Winken,
nutze Deine jungen Tage,
Lerne zeitig klüger sein!
Auf des Glückes großer Wage
Steht die Zunge selten ein.
Du musst steigen oder sinken,
Du musst herrschen und gewinnen,
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboss oder Hammer sein.

Es gibt ein Leben nach der Sozialpartnerschaft!

Literaturtipp: Elmar Altvater, Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen, pp. 1 - 32

Dienstag, 11. November 2008

Veranstaltung: "Börsencrash und Vorherrschaft"

Wer gewinnt, wer verliert, welche Machtverschiebungen ergeben sich durch die Finanzkrise?

Vortrag und Diskussion mit Winfried Wolf (Ökonom, Berlin) über die Ursachen der aktuellen Finanzmarktkrise. Vorstellung von Lunapark 21 (Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie).

Datum: Donnerstag, 20. November, 19 Uhr

Ort: Linz, Ernst-Koref-Heim (Prunerstraße 3a, nahe Musikschule)

Montag, 10. November 2008

Veranstaltung: "Thema: Finanz- und Wirtschaftskrise"

Es diskutieren:

  • Lucas Zeise, Financial Times Deutschland
  • Winfried Wolf, Chefredakteur von "Lunapark 21"
  • Hannes Hofbauer, Journalist
  • VetreterIn von ATTAC
  • VertreterIn der "Linken"

Die Veranstaltung findet im Rahmen einer Präsentation von "Lunapark 21. Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie" statt. Näheres unter http://www.lunapark21.net/

Datum: Freitag, 21. November 2008, 19 Uhr

Ort: Amerlinghaus, Stiftgasse 8, 1070 Wien

Die negativen Auswirkungen unregulierter Finanzmärkte sind allgegenwärtig. Selbst die größten Traditionsbanken sind nicht mehr vor dem Konkurs zu retten. Und die sogenannte Realwirtschaft, allen voran die Automobil- und Stahlindustrie, meldet Rekordeinbrüche in der Produktion. Während die Gewinne viele Jahre lang nur wenigen zugute kamen, soll für die Verluste nun die Allgemeinheit zahlen. Das Geld, das Staaten zur Stützung von maroden Banken, Immobiliengesellschaften und Industriebetrieben brauchen, fehlt bei Gesundheit, Bildung und sozialer Absicherung. Bisherige Vorschläge zur Reform der Finanzmärkte sind völlig unzureichend und liegen vor allem im Interesse von großen Finanzinstituten, Konzernen und Vermögenden. Darüber und welche Möglichkeiten es in dieser Situation gibt, einer kapitalistischen Restauration entgegenzuwirken, soll am 21. November um 19 Uhr diskutiert werden.

Sonntag, 9. November 2008

Serie: Kleines ABC der Finanzkrise

Teil 4

Wie funktionieren Aktien?

Aktien wie auch Anleihen erfüllen zunächst ebenfalls die Funktion der Finanzierung eines Unternehmens. Der Kapitalist der eine bestimmte Summe Geldes aufbringen muss, besorgt sich dies Geld bei einer Vielzahl von Aktionären, die für ihre Aktie eine bestimmte Summe Geldes hergeben. Mit dieser Aktie erwirbt der Aktionär das Recht, einen Anteil am Mehrwert des Unternehmens zu beziehen. Er erhält den Anspruch auf einen bestimmten Ertrag oder eine so genannten Dividende. Das was er ursprünglich im Preis der Aktie bezahlt hat, ist im Unternehmen fixiert, es steckt in den Produktionsmitteln und in der Arbeitskraft, er kann es nicht zurückerhalten, was er erhält das ist, wie gesagt, lediglich einen Teil vom Ertrag des Unternehmens. Der Preis der Aktie wird deshalb auch nicht bestimmt als Teil des Unternehmenskapitals, er ist vielmehr der kapitalisierte Ertragsanteil. Das heißt, der Preis der Aktie ist nicht abhängig vom Wert des wirklich in der Produktion fungierenden Kapitals, sondern einerseits vom erzielten Ertrag und anderseits vom herrschenden Zinsfuß. Da im Kapitalismus jedes Kapital einen bestimmten Zins abwirft, so wird umgekehrt jeder Ertrag der erwirtschaftet wird, zu dem bestehenden Zinsfuß kapitalisiert. Beträgt beispielsweise der Profit, den ein Unternehmen abwirft, 2.500 Euro und der herrschende Zinsfuß beträgt 5 Prozent, so beträgt der Preis der Aktien 50.000 Euro (weil die Aktien im Preis von 50.000 Euro zu fünf Prozent verzinst einen Ertrag von 2.500 Euro abwerfen).

Das Kapital das die Aktionäre fortgezahlt haben ist also in der Produktion fixiert. Die Aktien selbst stellen nur den Preis für einen Ertrag vor, der selbst schwanken kann. Aber das lässt das in der Produktion fixierte Kapital vollkommen unberührt. Sinkt der Ertrag des Unternehmens, müssen die Aktienkurse fallen, ebenso wie wenn der Zinsfuß steigt. Die Aktienbesitzer können ihre Aktien jederzeit an der Börse verkaufen. Der Kurs der Aktien an der Börse hat mit dem eigentlichen Wert, das in dem Unternehmen steckt, nichts zu tun. Der Wert der Aktien ist rein fiktiv. Ihr Marktwert erhält eine von ihrem Nominalwert verschiedene Bestimmung, ohne dass sich der Wert (wenn auch die Verwertung) des wirklichen Kapitals änderte.

Nun kommt hier ein spekulatives Element zusätzlich herein dadurch, dass die Erträge auf die der Aktienkurs bemessen wird, nicht reale schon erwirtschaftete Profite sind, sondern Erträge wie sie sich zukünftig entwickeln könnten. Die Kurse ergeben sich aus den erwarteten Erträgen.

Was wir in letzter Zeit erlebt haben, das waren Kursstürze von enormer Dimension. Was steckt nun hinter diesen Kursstürzen? Natürlich vorwiegend die Ernüchterung darüber, dass die wirklich erwirtschafteten Erträge den realen bei weitem nicht entsprechen. Die Produktion selbst gerät ins Stocken und somit schwinden die Profite. Darauf reagieren vor allem die Aktienkurse. Gleichzeitig wird dadurch die Volkswirtschaft um keinen Deut ärmer als zuvor. Das wirkliche Kapital steckt in der Produktion, es wird durch den Kurssturz keineswegs berührt. Anders stellt sich die Situation für jene dar, die ihr Geld der Börse anvertraut haben. Es wurde in Wertpapiere investiert in der Hoffnung, dass die Kurse immer weiter klettern werden. Der Anstieg der Kurse erhöht die Kaufkraft eines Landes, selbst wenn sie nur künstlich geschaffen wird und nicht der realen Produktion erwächst. Der Kurssturz andererseits vernichtet in großem Ausmaß diese Kaufkraft und entwertet das in Aktien investierte Kapital. Manche die rechtzeitig teuer verkauft haben, mögen eine Menge damit verdient haben, die Mehrheit der kleinen Aktionäre verliert allerdings, wie auch einige Kapitalisten, die ihr überschüssiges Kapital der Börse zugeführt haben. Einige große Kapitalisten kaufen jedoch in der Krise selbst die wertlosen Papiere wieder auf und verdienen damit, sobald die Kurse wieder in die Höhe klettern.

Freitag, 7. November 2008

Serie: Kleines ABC der Finanzkrise

Teil 3

Was ist Kredit?

Der Kredit ist ein ungeheurer Hebel der Produktion. Durch ihn wird es möglich, riesige Summen aufzubringen, damit die Unternehmen auf ständig höherer Stufenleiter produzieren können. Der Kredit bedeutet, dass die Bank dem Kapitalisten eine Summe Geldes vorschießt und diese Summe bei Fälligkeitsdatum samt einem Überschuss, dem so genannten Zins, wieder zurückerhält. Der Zins muss also von jenem Wertbestandteil weggezahlt werden, der über das hinausreicht, was der Unternehmer zur Produktion aufgewandt hat und was ihm als Mehrwert zukommt. Der Zins ist also selbst nur ein Teil des Mehrwerts des Kapitalisten. Und alles zinstragende Kapital muss letztlich aus diesem Mehrwert gespeist werden. Die Bewegung die das zinstragende Kapital durchmacht ist reduziert auf die Formel G-G’. Also man schießt Geld vor und mehr Geld kehrt zu dem der es ausgegeben hat zurück. Es hat den Anschein, als würde das Geld die ihm zukommende Eigenschaft haben, sich zu vermehren, ohne dass die Produktion dazwischen tritt. Aber ohne Produktion, ohne dass ein Mehrwert produziert wird, kann sich Geld überhaupt nicht vermehren.

Die Höhe des Zinses hängt ab von Angebot und Nachfrage nach Leihkapital. Ist die Nachfrage nach Leihkapital hoch, muss der Zinssatz steigen, ist sie niedrig, sinkt der Zinssatz.

Donnerstag, 6. November 2008

Eine kurze Beschreibung eines (Teil-)Finanzmarktes

  • Vor langer Zeit, verkündete ein Mann in einem indischen Dorf, dass er jeden Affen um 10 $ kaufen würde.
  • Die Dorfbewohner/innen wussten, dass es im Wald sehr viele Affen gibt. Und so sind sie in den Wald und fingen Affen.
  • Der Mann kaufte dann die ganzen Affen um den versprochenen Preis.
  • Als sich somit der Affenstand verringerte, suchten die Dorfbewohner/innen nicht mehr sehr fleißig und gingen lieber ihrer alten Arbeit nach. Daraufhin versprach der Mann jeden Affen um 20 $ zu kaufen. Das hat die Menschen angemacht, und sie gingen in den Wald und suchten und suchten.
  • Bald darauf sind die Affen im Wald sehr rar geworden und keiner suchte mehr richtig. Und so verkündete der Mann, er würde jeden Affen um 25 $ kaufen! Es war schon sehr schwierig einen Affen zu erwischen!
  • Darum sagte der Mann, er kauft jetzt jeden Affen um 50 $!!
  • Aber da er geschäftlich in die Stadt muss, wird ihn sein Assistent vertreten.
  • Als der Mann dann weg war, sagte der Assistent zu den Dorfbewohner/innen: 'Seht ihr die ganzen Affen hier im Käfig, die der Mann kaufte? Ich verkaufe sie euch um 35 $ und wenn der Mann morgen aus der Stadt kommt, könnt ihr ihm die Affen um die 50 $ verkaufen. Super, oder ?'
  • Die Dorfbewohner/innen brachten daraufhin alles Geld, alles Ersparte, und kauften alle Affen um 35 $.
  • Nach diesem Geschäft haben die Dorfbewohner/innen nie mehr wieder einen von den zwei Männern gesehen. Nur die ganzen Affen waren wieder dort wo sie am Anfang waren...

Mittwoch, 5. November 2008

Serie: Kleines ABC der Finanzkrise

Teil 2

Was sind Finanzmärkte?

Zunächst einmal haben Finanzmärkte eine Finanzierungsfunktion. Die Unternehmer brauchen ungeheure Summen von Geld, die sie zum Teil nicht selbst aufbringen können, für die Finanzierung der Produktion und die Schaffung von neuem Mehrwert. Nun gibt es zwei große Möglichkeiten, die Investitionen in die Produktion extern zu finanzieren. Einerseits durch Kredite, andrerseits durch Aktien oder Anleihen. Die Märkte für diese so genannte externe Finanzierung sind die Finanzmärkte. Und obgleich die Finanzmärkte in den letzten Jahrzehnten enorm an Bedeutung gewonnen haben, ist es dennoch so, dass ein großer Teil der Investitionen der Unternehmen aus eigenen Mitteln finanziert wird (also direkt aus einem Teil des Mehrwerts) und nicht über die Finanzmärkte. Ja der Anteil der Investitionen der über Finanzmärkte finanziert wird ist in den entwickelten Industrienationen sogar rückläufig. Finanzmärkte spielen also noch eine andere Rolle als die der unmittelbaren Finanzierung der Investitionen. Dazu später. Zunächst einmal soll geklärt werden, was es denn nun mit dem Kreditmarkt und dem Wertpapiermarkt auf sich hat.

Montag, 3. November 2008

Serie: Kleines ABC der Finanzkrise

Teil 1

Was ist Kapital?

Am Anfang jedes Produktionsprozesses steht das Geld. Mit diesem Geld kaufen die Kapitalisten Produktionsmittel und Arbeitskraft und wenden es so als Kapital an. Kapital bedeutet, dass sich das Geld vermehren muss. Am Ende muss eine höhere Summe Geldes stehen als zu Beginn des Produktionsprozesses, sonst würde kein Unternehmer produzieren. Der Kapitalist muss also am Ende einen höheren Wert in Händen halten als ursprünglich vorgeschossen. Marx nennt daher das Kapital auch Geld heckendes Geld oder sich selbst verwertenden Wert.

Die Vermehrung des Geldes und des Werts, den es vorstellt, kann nur aus der Produktion selbst herrühren und zwar aus der Anwendung der Ware Arbeitskraft. Der Arbeiter arbeitet für eine bestimmte Zeit und erhält dafür einen Lohn. Dieser Lohn entspricht im Allgemeinen dem Wert der Güter, die er selbst zum Leben braucht. Er erhält also den Wert der Ware Arbeitskraft im Lohn ausbezahlt. Anderseits gehört das Produkt, das der Arbeiter produziert nicht ihm selbst, sondern dem Kapitalisten, der die Ware Arbeitskraft kauft. So mag der Arbeiter in vier Stunden ein bestimmtes Produkt produziert haben, das wertmäßig genau dem entspricht, was er zum Unterhalt braucht. Der Arbeiter geht aber nicht nach vier Stunden nach Hause und legt sich auf die faule Haut, sondern arbeitet zum Beispiel acht Stunden am Tag. Denn für acht Stunden ist er beim Kapitalisten beschäftigt. Die Tagesarbeit die er über die notwendige Arbeitszeit (vier Stunden) hinausarbeitet ist so Mehrarbeitszeit, und den Wert den er in dieser Zeit für den Kapitalisten schafft ist Mehrwert, der vom Kapitalisten angeeignet wird.

Das Kapital das in den Produktionsmitteln steckt, nennt Marx konstantes Kapital. Das Kapital, das in Arbeitskraft ausgelegt wird, variables. Nur das variable Kapital produziert einen Mehrwert.

Eugen Varga und der Niedergang des Kapitalismus

Über bürgerliche Krisentheorie und Konjunkturforschung.

Die bürgerliche Ökonomie hat keine zufriedenstellende Erklärung für die Wirtschaftskrisen. Die Frage zu beantworten, warum es Krisen im Kapitalismus gibt und warum diese mit zwingender Notwendigkeit regelmäßig wiederkehren, hieße zum Wesen der kapitalistischen Produktionsweise vorzudringen.

Der Marxist Eugen Varga (1879-1964) hat nicht nur in einzigartiger Weise die Krisen des Kapitalismus erklärt und analysiert, er hat auch immer wieder auf den Bankrott der bürgerlichen Krisentheorie hingewiesen, wiewohl er die Leistungen der empirischen Konjunkturforschung zu schätze wusste, die jedoch aus Mangel einer theoretischen Fundierung stark entwertet würden. Wie kommt es, dass die bürgerliche Wissenschaft auf dem Gebiet der Krisentheorie auf ganzer Linie versagt hat, obgleich sie doch alles Erdenkliche unternommen hat um die Krisen zu begreifen, damit sie Mittel und Wege finde diesen vorzubeugen? Die Antwort liegt für Varga darin begründet, dass die bürgerliche Ökonomie zur Apologetik des Kapitalismus herabgesunken ist. Und zwar in dem Maße, wie der Klassenkampf des Proletariats die Herrschaft der Bourgeoisie in Zweifel stellte. Die bürgerliche Ökonomie „fürchtet jeden Hinweis auf die Kräfte, die dem Kapitalismus auf der Grundlage seiner eigenen inneren Bewegungsgesetze einen revolutionären Untergang bereiten.“[1] Damit ist der Widerspruch benannt, der die Geschichte der bürgerlichen Krisentheorie durchzieht.

Apologetische Phrasen

Die herausragenden Vertreter der klassischen bürgerlichen politischen Ökonomie, Smith und Ricardo, haben keine Krisentheorie ausgearbeitet, was damit zu tun hat, dass diese die periodischen Krisen noch nicht kannten. Ricardo erlebte zwar die Krise von 1815, konnte sich diese aber noch aus zufälligen Ereignissen erklären. Er übernimmt die Auffassung Says wonach mit der Produktion einer Ware immer auch die entsprechend Kaufkraft produziert werde. Demnach seien allgemeine Überproduktionskrisen prinzipiell unmöglich. Eugen Varga verweist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied von Kaufkraft und Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft: „Die Kaufkraft der kapitalistischen Gesellschaft entspricht tatsächlich c + v + m, sie ist gleich der Summe des Wertes der in einem Jahr hergestellten Waren. Doch nutzt diese allgemeine Wahrheit wenig, um das Marktproblem zu lösen. Entscheidend ist nicht die Kaufkraft der Gesellschaft, sondern deren Konsumtionsfähigkeit. Unter der Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft versteht Marx jenen Teil der Kaufkraft, den Arbeiter und Kapitalisten für Konsumtionsmittel, für Waren der Abteilung II aufwenden können. Das bestimmt letztlich die Aufnahmefähigkeit des Marktes für alle Arten von Waren, denn die Produktionsmittel werden von den Kapitalisten nur deshalb erworben, um damit Konsumtionsmittel herzustellen.“[2] Der enorme Einfluss des Sayschen Dogmas erklärt, weshalb eine breitere Erforschung der Krisenursachen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte.

Krisentheorien

Abgesehen von jenen Krisentheorien die eigentlich überhaupt nicht zu den ökonomischen Theorien zu zählen sind, weil sie entweder kosmische Ursachen anführen (Jevons, Moore) oder psychologische Erklärungen heranziehen (Pigou), so nehmen die meisten bürgerliche Krisentheorien die Disproportionalität in der Entwicklung zentraler volkswirtschaftlicher Größen zum Ausgangspunkt. Während etwa Aftalion die Überproduktion in einem übermäßigen Umfang der Produktion von Investitionsgütern begründet sieht, führt Spiethoff diese auf ein Überschießen der Produktion von Grundstoffen zurück. Beide erblicken also in der allzu starken Ausdehnung eines verbrauchsfernen Produktionsbereichs den Grund für die Krisen. Demgegenüber betont Lederer, dass allein das Auseinanderklaffen zwischen Produktionsentwicklung und Einkommensentwicklung die Krisen erklären kann.

Varga bemerkt über die bürgerlichen Krisentheorien im Allgemeinen: „Zwar gibt es unzählige Krisentheorien, und ihre Zahl vermehrt sich von Jahr zu Jahr. Alle enthalten – mit einigen Ausnahmen – Elemente, die einem Teil der Wirklichkeit entsprechen: sie umfassen nicht das ganze des Problemkreises, sondern greifen ein Teilgebiet heraus und versuchen damit das ganze Krisenproblem zu erklären. Alle bürgerlichen Krisentheorien – sowohl der Vorgänger als der Nachfolger von Marx – sind unrichtige Verallgemeinerungen einzelner Elemente der umfassenden Krisentheorie von Marx.“[3]

Empirische Konjunkturforschung

In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts kam die empirische Konjunkturforschung, vor allem in den USA und in Deutschland, auf. Diese entwickelte Methoden um Vorraussagen über die ökonomische Entwicklung treffen zu können, was ganz im praktisch-wirtschaftlichen Interesse der Kapitalisten lag, die sich auf die Krisen einzustellen hatten. Die empirische Konjunkturforschung betrieb zunächst vorwiegend Symptomatik. Das heißt, dass daraus, dass in der Vergangenheit ein gewisses Symptom ein bestimmtes wirtschaftliches Ereignis zur Folge hatte, geschlossen wird, dass dies auch in der Zukunft der Fall sein wird. Die Unzulänglichkeit dieser Methode sollte sich bereits im Herbst 1929 herausstellen. Noch Ende August desselben Jahres behauptete das Berliner Institut für Konjunkturforschung, „dass fast alle Länder sich fern von Krisis und Depression in einer konjunkturell günstigen Lage, in einem Aufschwung oder einer Hochkonjunktur befinden“[4].

Das Versagen der bürgerlichen Wissenschaft auf dem Gebiet der Konjunkturforschung war also offensichtlich. Varga hat anlässlich der Weltwirtschaftskrise von 1929 festgestellt, dass, wollte die bürgerliche Ökonomie zuverlässige Vorhersagen treffen, sie sich der marxistischen Methode bedienen müsste. Man könne aber nicht für die Konjunkturvoraussage die marxistische Methode anwenden, sonst aber die Vulgärökonomie als Grundlage beibehalten.[5] Die bürgerliche Ökonomie war also gezwungen, die Konjunkturforschung auf Basis der Vulgärökonomie weiterzuentwickeln und mit der Unsicherheit der so erhaltenen Ergebnisse zu leben. Jedoch erwuchs aus der Konjunkturbeobachtung das Konzept der aktiven Konjunkturpolitik, das schließlich auch mit der Theorie von John M. Keynes verbunden wurde. Mit Keynes vollzieht sich die Auflösung der Konjunkturtheorie überhaupt, hinein in eine allgemeine Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung.[6]

Zur Popularität des Keynesianismus

Varga stellt 1964 die Frage, wie sich die beherrschende Stellung des Keynesianismus erkläre, sodass sowohl regierende Politiker, die die Interessen des Monopolkapitals vertreten, als auch Universitätsprofessoren in kapitalistischen Ländern, wie auch reformistische Arbeiterführer in gleichem Maße zu Keynesianern wurden. Die Antwort: Als Keynes sein Hauptwerk in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre verfasste, war die von Marxisten konstatierte allgemeine Krise des Kapitalismus schon nicht mehr zu leugnen. Die Lehre vom harmonischen Wesen des Kapitalismus, wonach die inneren Kräfte dieser Gesellschaftsordnung automatisch alle entstehenden Schwierigkeiten überwinden, erlitt Schiffbruch. Das machte Keynes zur größten Autorität in der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft und in der Wirtschaftspolitik der kapitalistischen Welt:

„Keynes stellte sich folgende Aufgaben:

a) Er wollte beweisen, dass die Gebrechen des Kapitalismus, insbesondere die chronische Massenarbeitslosigkeit, nicht aus der kapitalistischen Ordnung an sich, sondern aus allgemeinen psychologischen Gesetzen resultieren, so dass dafür nicht die herrschende Großbourgeoisie, das Monopolkapital, sondern ewige, gesellschaftsunabhängige Faktoren verantwortlich zu machen seien.
b) Er wollte Maßnahmen empfehlen, die im Grunde den Interessen der Monopolbourgeoisie dienten, formal jedoch für die Reformisten akzeptabel wären.“[7]

Und an anderer Stelle: „Die Allianz von Reformismus und Keynesianismus ist auf dem Umstand begründet, dass die Reformisten und Revisionisten den Marxismus für „veraltet“ erklären, andererseits jedoch außerstande sind, eine eigene Theorie des gegenwärtigen Monopolkapitalismus zu entwickeln. Sie bedürfen einer soliden bürgerlichen Theorie, die zwar (der Besänftigung der unzufriedenen Arbeiter halber) den Kapitalismus kritisiert und für reformbedürftig erklärt, in ihrer Kritik jedoch sehr gemäßigt bleibt und den reformistischen Funktionären die Möglichkeit zur Kollaboration mit der Bourgeoisie lässt. Keynes’ Lehre genügt allen diesen Ansprüchen der Reformisten.“[8]

Scheitern des Keynesianismus

Der Keynesianismus erwies sich jedoch als unfähig, die Probleme des Kapitalismus auch nur in Ansätzen zu lösen. Mit dem Ausbrechen der weltweiten kapitalistischen Überproduktionskrise Mitte der 1970er Jahre geriet der Keynesianismus selbst in eine Krise. Es wurde nun immer deutlicher, dass die keynesianische Politik die über die zyklische Bewegung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses hinausreichenden langfristig wirkenden Faktoren kaum oder überhaupt nicht erreicht und sie so weitestgehend unwirksam bleiben musste.[9] Ein Umstand, den Varga allerdings nicht mehr kommentieren konnte.

Der Niedergang des Kapitalismus

Varga folgt dem Marxschen Gedanken, dass der eigentliche Grund für die Krisen in dem Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung zu suchen ist. Die Krisen sind für Varga nicht bloß Störungen der kapitalistischen Reproduktion, die bewirken, dass sich die Proportionen der Wirtschaft wieder herstellen, sodass der Konjunkturzyklus von neuem munter beginnen kann. Varga teilt mit Marx die Ansicht, dass die Krisen „eklatierende Widersprüche“ sind, welche die kapitalistische Produktionsweise „selbst dem groben Blick als bloß historische Übergangsform kennzeichnen.“[10] War der Kapitalismus zu Marx Zeiten allerdings noch im Aufstieg begriffen, so fasst Varga den Kapitalismus seiner Tage als Kapitalismus in der Periode seines Niedergangs. Dazu veranlassen ihn unter anderem folgende Feststellungen: Selbst in seinen Hochkonjunkturphasen vermag es der Kapitalismus nicht mehr die chronische Arbeitslosenarmee abzubauen. Es wächst das Unvermögen die sich entwickelnden Produktivkräfte auszulasten.

„Aber die Aufeinanderfolge der Zyklen und Krisen“, schreibt Varga, „stellt keine mechanische Wiederholung qualitativ gleicher Erscheinungen dar; jede Krise ist eine weitere Stufe beim Niedergang des Kapitalismus, und zwar nicht nur in ökonomischer sondern auch in sozialer Hinsicht. Jede Krise vernichtet die Existenz vieler einzelner Kapitalisten; sie lässt die Zahl derjenigen, die an der Erhaltung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung interessiert sind, immer mehr schrumpfen und verschärft den Widerspruch zwischen Proletariat und Bourgeoisie, wobei der Gegensatz zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der kapitalistischen Aneignung immer schärfere Formen annimmt.“[11]


[1] Eugen Varga, Ausgewählte Schriften 1918 – 1964, Zweiter Band, Köln 1982, S. 6
[2] Ebd., S. 400 f.
[3] Ebd., S. 59
[4] Vierteljahreshefte zur Konjunkturforschung, Berlin, 1929, H. 2, Teil B, S. 41, zitiert nach: Herbert Meißner, Geschichte der politischen Ökonomie, Berlin 1985, S. 482 f.
[5] Eugen Varga, Ausgewählte Schriften 1918 – 1964, Erster Band, Köln 1982, S. 326
[6] Vgl. Werner Hofmann, Theorie der Wirtschaftsentwicklung, Berlin 1979, S. 94
[7] Eugen Varga, Ausgewählte Schriften 1918 – 1964, Dritter Band, Köln 1982, S. 327 f.
[8] Ebd., S. 333
[9] Vgl. Herbert Meißner, Geschichte der politischen Ökonomie, Berlin 1985, S. 527 f.
[10] Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, Dritter Teil, MEW 26.3, Berlin 1982, S. 80
[11] Eugen Varga, Ausgewählte Schriften 1918 – 1964, Zweiter Band, Köln 1982, S. 6 f.

Sonntag, 2. November 2008

Wer zahlt, schafft - nicht - an

Dem Namen entsprechend war die Erste Bank wieder mal die erste, wenn's darum geht, steuer(finanzierte) Geschenke anzunehmen. Knapp 3 Milliarden Euro zapft die Bank an bereitgestellten öffentlichen Geldern ("Banken-Paket") ab. Um eine Größenordnung zu bekommen: Das ist fast so viel, wie der Staat jährlich an Mineralölsteuer einnimmt, also alle Autofahrer/-innen zusammen pro Jahr an Mineralösteuer zahlen. Dass weiteres Geld sprudeln wird ist zwar wahrscheinlich, bleibt aber dennoch abzuwarten.

Die "Gegenleistung" der Bank bleibt gering - in ein paar Jahren wird das Geld samt Zinsen wohl oder übel (oder auch nicht) zurückgezahlt werden. Obwohl der Staat damit eigentlich als Eigentümer in die Bank einsteigt, werden ihm keine Eigentümerrechte gewährt. Was sich hinter dieser technischen Formulierung verbirgt, heißt auf Klartext: Die Steuerzahlerin wird zur Kasse gebeten, um einer Bank mit Rekordgewinnen und der höchsten Managergage des Landes 'unter die Arme zu greifen', darf aber nicht mitreden, was mit dem Geld oder der Bank (deren Eigentümerin sie jetzt ja ist) passiert.

Die Erste Bank erklärte sich lediglich bereit, drei Milliarden Euro den heimischen Klein- und Mittelbetrieben zur Verfügung zu stellen. Wenn das die Intention der Politik war, dann stellt sich die Frage, wieso sie die knapp drei Milliarden nicht direkt den heimischen Klein- und Mittelbetrieben zur Verfügung stellt, sondern eine Clique potentieller Bankrotteure dazwischenschaltet, die Geld nur für eines weitervergibt: für Profit.